1850 - Traumtod
Dao-Lin-H’ay weiter. „Vielleicht sind sie in einer potentiellen Zukunft gefangen und können sich aus eigener Kraft nicht befreien? Und wenn es in dieser potentiellen Zukunft milliardenfachen Tod gibt, könnte es auch sie das Leben kosten."
„Ich fürchte, jetzt geht die Phantasie mit dir durch, Dao-Lin", sagte Adams mit einem hilfesuchendem Blick zu Myles Kantor, dem nüchternen Wissenschaftler, bei dem er sich Unterstützung für rationales Denken erhoffte.
Aber Myles Kantor enttäuschte ihn.
"Ich will ja nicht den Teufel an die Wand malen", sagte er. „Aber Dao-Lins Befürchtungen könnten durchaus einen realen Hintergrund haben."
„Dann müssen wir zur Erde!" sagte die Kartanin entschlossen. „Es ist vielleicht die einzige Möglichkeit, die drei zu retten."
„Oder mit ihnen unterzugehen", gab Adams zu bedenken.
Dieser Ausspruch brachte Dao-Lin-H’ay. zur Weißglut. Sie wollte eine entsprechend emotionell beeinflußte Entgegnung von sich geben, als sich plötzlich Phil Agorar aus der Funkzentrale meldete „Ich habe Atlan auf der Hauptleitung", sagte er.
„Überstellen!"
In der Kommandozentrale der MERLIN entstand die lebensgroße, dreidimensionale Projektion des Arkoniden. Er bot einen erbärmlichen Anblick.
Sein Gesicht wirkte um Jahrzehnte gealtert. Er hatte dunkle Ringe unter den verquollenen Augen. Er wirkte völlig ausgelaugt. Und man hatte noch nie den Ausdruck solchen Entsetzens auf dem Gesicht des Arkoniden gesehen. Atlan bot den Anblick eines geschlagenen Mannes.
„Homer, bist du auf Empfang?" fragte Atlan mit fremd klingender Stimme.
„Ich höre und sehe dich, Atlan", sagte Homer G. Adams beklommen. „Mann, was ist mit dir nur passiert?"
„Es ist passiert, ja", sagte Atlan mit schwankender Stimme. „Mir ist jetzt ziemlich klar, wie das Ende der Erde und der anderen 51 Philosophenwelten kommen wird. Aber das ist nicht alles. Irgendwann wird es die gesamte Milchstraße erwischen. Der Philosoph hat mir das Ende gezeigt, und genau so wird es kommen. Es gibt keine Rettung, wenn nicht ein Wunder geschieht."
„Verdammt, Atlan, wovon redest du?"
„Vom sechsten Flimmern, Homer. Das sechste Flimmern wird alles Leben in einem Sektor von bis zu zehntausend Lichtjahren auslöschen."
Tara Villada: Juli bis September 1289 NGZ 9.
Tara Villada hatte sich nicht vorstellen können, in ihrem weiteren Leben noch etwas anderes zu tun, als Kreise zu erschaffen. Sie hatte nicht darüber nachgedacht, was sie tat, und einfach einem inneren Drang nachgegeben. Erst nachträglich, als dieser Zwang von ihr abfiel wie eine unnütz gewordene, abgetragene Haut, erst da wurde sie sich bewußt, daß sie bis in alle Ewigkeit nichts anderes getan hätte, als Kreise zu zeichnen, pantomimisch darzustellen und mit allen möglichen Materialien zu konstruieren. Wenn der Philosoph sie nicht aus dieser Schleife entlassen hätte ...
Das war eine wichtige Phase gewesen. Aber diese war vorbei. Es wäre ihr nunmehr unsinnig vorgekommen, sich weiterhin mit dem Darstellen von Kreisen abzugeben. Sie kehrte ins Leben zurück und nahm ihren normalen Rhythmus wieder auf. Sie war bereit für die nächste Phase des Reifeprozesses.
Nur ihr Mann Lester war noch nicht soweit. Sie belächelte ihn, als er in einer Spirale zur Toilette ging und danach auf dieselbe Weise in sein Arbeitszimmer zurückkehrte, um am Terminal, das in den Kreis aus Möbeln integriert war, Kreisberechnungen anzustellen. Zornig reagierend wie ein Kind, wenn etwas schiefging, glücklich jauchzend, wenn er neue Kreisfacetten entdeckte.
Ihre Kinder dagegen waren schon vor ihr aus dem Kreis ausgestiegen. Sie erinnerte sich nachträglich daran, wie sie die beiden zuletzt kichernd beobachtet hatten, als sie ihre Arme wie Windmühlenflügel bewegte.
Kim und Pat hatten sie nicht wirklich ausgelacht, das war ihr klar, sondern hatten sie belächelt, weil sie noch in einer Entwicklungsphase steckte, die sie selbst schon überwunden hatten.
Kinder waren offensichtlich gelehriger als in alten Gleisen festgefahrene Erwachsene.
„Du bist doch jetzt wieder erwachsen, Mami, nicht?" fragte der sechsjährige Pat.
Und die um zwei Jahre ältere Kim stieß ihren kleinen Bruder zurechtweisend an und sagte altklug: „Du siehst ja, daß sie uns eingeholt hat."
An die Mutter gewandt, fragte sie ernsthaft: „Was ist der Tod, Mami?"
Eigentlich hätte Tara sich darüber wundern müssen, eine solche Frage von einer Achtjährigen gestellt zu bekommen, aber sie antwortete
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