1856 - Shabazzas Gebote
vorgezeichneten Pfad ab, den Goedda und das Projekt verlangen? stellte er sich die Frage. Und wieso mache ich mir darüber Gedanken?
Ein Vergleich der letzten zwei Projektphasen mit den vielen Phasen davor erschreckte ihn. Bisher hatte er den Unterschied nicht als bedeutend empfunden. Jetzt mußte er erkennen, daß er sich irrte. Etwas in ihm nagte und bohrte und ließ ihn nicht los.
„Bald werde auch ich in Goedda aufgehen und meine Erfüllung finden. Bund kann daran nichts ändern", murmelte er immer wieder vor sich hin. Diesmal jedoch unterbrach er die fortwährende Selbstberuhigung und fügte hinzu: „Ich denke an mich und erst dann an das Projekt. Meine Perspektive hat sich verschoben."
Ympalor wußte das bereits. Vielleicht besaß er derzeit nur keine Möglichkeit, ihn zu eliminieren. Daß er es wollte, davon war Chlock so fest überzeugt, wie sein Panzer gehärtet.
Der Physander stellte sein Gemurmel ein und rief sich die Bilder der Begegnung mit Grallra
*
in Erinnerung. Vom Zeitpunkt seines Handelns an und der Verhinderung von Grallras Verrat hatte Chlock sich verändert, doch die Tatsache, daß Grallra ihn nicht mehr für projektkonform gehalten hatte, bewies, daß bereits vorher etwas anders gewesen war. Chlocks Wunsch, mit Ockonea den Platz zu tauschen, stellte eine Form von Eigenständigkeit dar, die einem Physander gewöhnlich fremd war.
Alles für das Ganze, nichts für den einzelnen. Chlock kannte es nur so, doch erst jetzt wurde ihm klar, daß es in seinem Fall anders war.
Der Cyborg war ein Abweichler in seinem Volk. Den Begriff Saboteur, den Ympalor gern und häufig benutzte, lehnte er ab. Es hatte nichts mit seiner Einstellung zum Projekt und zur großen Aufgabe zu tun, der sie zwischen der großen Masse der Roboter nachkamen.
Chlock spürte einen Hauch von Verwandtschaft mit den Einzelwesen des Bundes, der sich auf sein Eingehen in Goedda vorbereitete. Sehnsucht sollte sie erfüllen, Erlösung auf sie warten. Das Weiterleben in höheren Sphären. In Goedda würden sie vereint sein, Physander, Chaeroder und Bund. Früher hatte Chlock fest daran geglaubt, daß es kein größeres Glück geben könnte.
Jetzt, in dieser Zeit der Reglosigkeit und Hilflosigkeit, begann er sich zu fragen, wie der Bund darüber dachte. Empfand er keine Freude über seine Zukunft? Fühlte er Abscheu in sich, wie sie jetzt in Chlock emporstieg?
Der Cyborg sammelte seine Kräfte und stützte sich vorsichtig an der Wand ab. Mit gemeinsamer Anstrengung aller vier Arme schaffte er es in die Senkrechte. Steif, wie sein Körper war, gelang es ihm, einigermaßen das Gleichgewicht zu halten. Er streckte das obere Armpaar nach vorn und versuchte, die schweren Glieder an Ort und Stelle zu halten.
Ein paar Augenblicke reichten ihm, um unter allem erdenklichen Kraftaufwand das linke Bein nach vorn zu schieben, das Gewicht von Unterkörper und Oberkörper zu verlagern und das rechte Bein nachzuziehen.
Eine halbe Armlänge schaffte er auf diese Weise, dann benötigte er eine Pause, um sich zu erholen.
Nach einer Weile wagte er den nächsten Schritt, dann den übernächsten. In seiner Lage spielte die Zeit keine Rolle, die er bis zur Tür benötigte. Sie reagierte auf sein mechanisches Zeichen; der Korridor empfing ihn wie immer. Kalt und leer lag er da, und die Atemluft kühlte und verschaffte dem Physander ein wenig Erleichterung.
Nach rechts und geradeaus, gab er sich den Befehl. Immer an der Wand entlang. Du brauchst diese Stütze. Ohne sie erreichst du dein Ziel nicht.
Irgendwo im Schiff gab es Alarm; zudem ließ Ympalor noch immer nach ihm rufen. Da Chlock alle Systeme dieser Sektion abgeschaltet und auf den Schutz des Bundes umprogrammiert hatte, sah sich der Chaeroder nicht in der Lage, seinen Standort zu ermitteln oder gar ihn zu beobachten.
Sechzig Schritte bis zur Tür, nach links, abwärts, ein Stück geradeaus.
Dreihundert mühsame Schritte brachten ihn dem ersehnten Ziel ein gewaltiges Stück näher. Jeder Schritt bestand aus verschiedenen Teilbewegungen: das Ausbalancieren durch die Arme, das Vorbeugen, das Vorsetzen eines Beines und das Nachziehen des anderen. Dann wieder das Atemholen, das Sammeln aller Kraftreserven, die der gepeinigte, halb leblose und mangels technischer Funktionen bereits teilvergiftete Körper noch herzugeben in der Lage war.
Weiter! Durch die Tür. An der Wand entlang. Der Schrank. Die Sperre und die mechanische Eingabe des Kodes. Es hätte ihn verraten, wenn er diese
Weitere Kostenlose Bücher