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188 - Der lebende Nebel

188 - Der lebende Nebel

Titel: 188 - Der lebende Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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Gläschen getrunken.
    »Wasser und Holz, hm?« Yonniboi schaute sich um.
    Rulfan sah, dass nun auch an den anderen Buden Betrieb herrschte. Yonniboi winkte zwei Burschen mit blauschwarzem Haar heran. Sie trugen Lendenschurze und verwegen aussehende Goldringe an den Ohrläppchen. »Ich werde mal ein Geschäft anbahnen.«
    Die beiden Burschen waren listige Füchse. Das Palaver, das sie mit Yonniboi veranstalteten, während Rulfan sich das Fett vom Kinn wischte, erinnerte an einen orientalischen Basar. Als müssten sie irgendwelche Klischees erfüllen, rauften sie sich das Haupthaar, warfen die Arme in die Luft, verdrehten die Augen und zeterten. Sie machten ganz allgemein den Eindruck als sollten sie ihre Kinder gegen ein Linsengericht eintauschen.
    Auch Yonniboi legte eine bühnenreife Vorstellung hin: Er mimte den abgefeimten Schurken, der für ein paar Glasperlen ein Königreich haben wollte.
    »Perfekt«, sagte er, als die beiden Männer sich mit gefalteten Händen auf die Knie warfen und die Hände zum Himmel reckten. Dann standen sie auf, klopften Yonniboi auf die Schulter und machten sich davon.
    »Wer den harten Burschen nicht spielen kann«, sagte Yonniboi, »hat auf diesen Inseln schlechte Karten. Tücke ist hier Staatsdoktrin. Wer andere übers Ohr haut, ist der Größte. Wer anständig ist, ist ein Idiot. Wenn man diesen Lumpen entgegenkommt, halten sie einen für einen Froditen.« Er deutete auf die Markthütten. »Ich habe fünf volle Wassersäcke und eine Schubkarre mit Kohlen und Holzscheiten für dich bestellt. Wie willst du bezahlen?«
    »Oh, shit«, sagte Rulfan, als ihm einfiel, dass Prinz Victorius ihre Reisekasse verwaltete. »Ich muss mich um meinen Begleiter kümmern. Er hat nämlich die Gelder.«
    »Du siehst wie ‘ne ehrliche Haut aus«, sagte Yonniboi. »Da ich tatsächlich ein gutmütiger Trottel bin, lege ich die Kosten für den Krempel solange aus.« Er holte tief Luft. »Vor dem Schiffbruch, der mich einst hier an Land gespült hat, habe ich mir ja geschworen, so etwas nie wieder zu tun…«
    Rulfan klopfte ihm auf die Schulter. »Im Vertrauen, Yonniboi: Ich bin ebenso ein Trottel. Ich pflege meine Schulden zu bezahlen. Verlass dich also auf mich.«
    »Wenn du mich reinreitest, bist du tot«, sagte Yonniboi und lächelte freundlich. Er drehte sich um und deutete auf die sechs unterarmlangen Klingen, die an seinem Ledergürtel hingen.
    Rulfan hatte sie bisher nicht gesehen.
    »Das wollen wir doch vermeiden.« Rulfan zwinkerte seinem Retter zu, dann kehrte er zu Liwáns Gasthaus zurück, wo das Verhängnis seinen Anfang genommen hatte.
    ***
    Der kopftuchtragende Türsteher hatte wohl europäische Vorfahren: Sein Teint war tamilisch dunkel, aber seine Augen schimmerten blau.
    Die Tücke seines Blicks, dies wusste Rulfan aufgrund langer Lebenserfahrung, hatte weniger mit seiner Volkszugehörigkeit als mit seinem miesen Charakter zu tun: An Charakterschweinen war die Welt überreich.
    Am Abend zuvor hatte er den Türsteher nicht gesehen. Dass er heute hier stand, musste Gründe haben. Einen konnte Rulfan sich vorstellen: Die schöne Liwán hatte sich in seinen Begleiter verknallt und wollte ihn nicht wieder hergeben. Vermutlich aalte sich Victorius schon unter dem Einfluss des grünen Likörs auf einer Polsterliege, ließ sich mit Palmwedeln kühle Luft zufächeln und von Liwán mit Pralinen füttern.
    Als der Türsteher Rulfan sah, fauchte er und zückte seinen Säbel. Er maß kaum einen Meter sechzig. Andererseits besagten seine Drohgebärden, dass er ein Söldner war, dessen Einkommen sich nach den Schädeln berechnete, die er pro Monat spaltete.
    »Komm, reg dich ab«, sage Rulfan so freundlich, dass der Mann ihn nicht missverstehen konnte. »Ich bin nur gekommen, um meinen Freund abzuholen.« Er deutete auf die geschlossene Tür des Gasthauses. »Ich glaube, er hält sich in diesem Haus auf – in Gesellschaft der schönen Liwán.«
    »Frejnd nix hier«, knurrte der Türsteher.
    Rulfan sah ein, dass es sinnlos war, mit dem kleinen Schafskopf zu debattieren. Hier in den Ländern des Südens legte man bei der Personalwahl Wert auf ein abschreckendes Äußeres, Durchsetzungsvermögen und eine Prise Mordlust. Ein gewisser Grad an Stumpfsinn war auch gefragt, und den gedachte Rulfan auszunutzen.
    »So ein Pech«, sagte er. »Na, dann trinke ich erst mal einen Schluck und suche ihn dann anderswo.«
    Sein nächster Schritt brachte ihn an die Tür, was dem Wächter ganz und gar nicht gefiel.

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