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188 - Der lebende Nebel

188 - Der lebende Nebel

Titel: 188 - Der lebende Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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dicht bewachsen waren, dass sie wie aus dem Wasser ragende Riesenpflanzen wirkten. Die meisten waren kleiner als Loaloa, wo sie gelandet waren.
    Rulfan erfuhr, dass die Ahnen der Einheimischen – in der Mehrzahl Malaien und Melanesier – vor drei oder vier Generationen vor einem Glaubenskrieg zwischen Marapuisten und Islamisten von Sumba nach Australien hatten fliehen wollen. Laut der Legende hatten sie auf Loaloa und einigen umliegenden Inseln Trinkwasser gesucht, Gefallen an den paradiesischen Zuständen gefunden und beschlossen zu bleiben.
    »Die Bedingungen waren hier so günstig«, sagte Yonniboi, »dass die Priester, die sie anführten, jede Macht über das Volk verloren. Da niemand mehr Not litt, konnte man auch niemandem mehr einreden, Sünden und Laster seien für sein Elend verantwortlich.«
    »Klingt nicht übel.« Rulfan nickte. »Aber gegrillte Steaks fliegen einem hier auch nicht in den Mund, oder?«
    Yonniboi lachte. »Es gibt massenhaft dicke und leckere Fische, die so dämlich sind, dass sie nach allem schnappen, was man ins Wasser hält. Man kann sie ganz leicht aufspießen. Die Fischer führen ein wunderbares Leben. Außerdem wachsen auf Loaloa jede Menge wohlschmeckende Früchte. Wir haben Süßwasser, keine nennenswerte Kriminalität und…« Er schaute aufs Meer hinaus und runzelte die Stirn.
    Rulfan folgte seinem Blick. Ein mit blauen Segeln bestückter Katamaran kam über den Horizont auf sie zu. Der Hafen von Loaloa schien sein Ziel zu sein.
    »Jemand, den du kennst?«, fragte Rulfan.
    »Keine nennenswerte Kriminalität«, wiederholte Yonniboi mit plötzlich griesgrämiger Miene, »bedeutet aber nicht, dass wir gar keine haben.« Er stand auf und ordnete seine Kleider.
    »Ich muss jetzt gehen. In Bälde wird jemand in meinem…« – er hüstelte – »Restaurant sitzen, der mir einiges schuldig ist.«
    Er tippte mit zwei Fingern an seine Stirn und machte sich auf den Rückweg.
    Er war kaum verschwunden, als Chira aus den Büschen kam. Da sie sich die Schnauze leckte, schien sie satt zu sein.
    Rulfan stand auf und fragte sich, wie er mit seinem weiteren Leben verfahren sollte.
    Ja, das Klima hier war wirklich paradiesisch. Die Vorstellung, sich unter den Palmen in den Sand zu legen und sich am Anblick der attraktiven Frauen zu erfreuen, war auch sehr verlockend.
    Doch war es von Belang? Rulfan seufzte. Dann spazierte er an der Klippe entlang. Chira schien zu wissen, dass jemand das Luftschiff bewachen musste: Sie blieb ohne zu knurren zurück.
    Rulfan war immer ein aktiver Mensch gewesen. Das Forschen lag ihm im Blut. Doch diese Insel war zu jung; sie war, wie die meisten in dieser Gegend, erst vor ein paar hundert Jahren aus dem Wasser gestiegen. Hier gab es keine versunkenen Städte oder Tempel, die sein Interesse weckten.
    Die Menschen hatten keine Geschichte und lebten in den Tag hinein.
    Was also hielt ihn hier? Doch sicher nicht der Wunsch, sesshaft zu werden! Und was wurde aus Aruula, wenn er sich nicht um sie sorgte? Trotzdem schien ihm der Gedanke, zu bleiben und sich dem Müßiggang hinzugeben, auf eine unterbewusste Art verlockend.
    Der Weg führte unter Palmen her. Irgendwann legte Rulfan in schattiger Kühle eine Rast ein und spürte, wie sehr die Sonne ihn ausgelaugt hatte. Er legte sich hin. Als er die Augen wieder öffnete, ging die Sonne gerade unter, und er wurde sich bewusst, dass er viele Stunden geschlafen hatte.
    Nun aber war er hellwach, ausgeruht und fühlte sich besser.
    Und auch der seltsame Wunsch, hier auf der Insel zu bleiben, war von ihm abgerückt.
    Wie ein Gift, das allmählich schwächer wird, dachte Rulfan – und stutzte. Konnte es sein, dass sein Verlangen die Nachwirkung des Rausches war, in den ihn letzte Nacht der Alk versetzt hatte? Aber das waren doch nur ein, zwei Gläser!, dachte er ungläubig. Bis im einfiel, was Yonniboi gesagt hatte:
    »Grindrim ist das reinste Teufelszeug. Es macht schon nach einem Schluck süchtig.«
    Rulfan überlief es heiß und kalt.
    Wie viel von dem Gesöff mochte Victorius inzwischen getrunken haben? Er zweifelte nicht mehr daran, dass sein Verhalten vom Alk diktiert wurde und nicht seinem freien Willen entsprang.
    Ich muss mir was einfallen lassen, um unsere junge afrikanische Majestät von hier loszueisen…
    Rulfan suchte sich einen Weg aus dem Wald. Als er im Zwielicht an der Küste entlang strebte, sah er, dass der Katamaran mit den blauen Segeln zwischen den Fischerbooten festgemacht hatte. Vor den Hütten und

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