19 - Am Jenseits
Selbstverständlichkeit‘ stand auch schon bereit.
Einen Wurfspeer hat jeder Haddedihn, auch wenn er mit dem Gewehr bewaffnet ist, stets bei sich, und zwar meist zu Jagdzwecken. Gazellen zum Beispiel werden meist nur mit dem Dscherid und nur höchst selten durch die Kugel erlegt. Die Spitze dieser Speere besteht in einem scharf und lang zugespitzten Eisen, der Schaft aus Palmenholz; Halef hatte sich die drei ihm handlichsten und dem jetzigen Zwecke entsprechendsten ausgesucht. Den Haïk trug er gar nicht; nun warf er auch die Jacke ab, und als hierauf die nackten Arme zu sehen waren und ich den Perser durch einen Wink auf sie aufmerksam machte, sagte er mir leise:
„Das ist allerdings beruhigend für mich. Solche Muskeln hätte ich diesem kleinen Mann freilich nicht zugetraut!“
„Und ich wiederhole, daß es auf sie nicht allein ankommt. Sieh, wie er über seinen Gegner lächelt!“
Dieser sprang nämlich, Probewürfe machend, hin und her. Halef schenkte ihm nur kurze Aufmerksamkeit und fällte dann sein Urteil über ihn:
„Er weiß nichts von der Dschewirma (Das Drehen, Effektgeben), Effendi! Und indem er tut, als habe er nur die Absicht, mich bange zu machen, indem er mir eine Geschicklichkeit zeigt, will er seinen Arm für die Entscheidung vorbereiten. Das habe ich nicht nötig. Ich werde deinen Rat befolgen und ebenso wie Kara warten, bis er keinen Speer mehr hat.“
„Und dann die deinigen rasch nacheinander?“
„Ja.“
„So paß auf seine Füße auf! Aus ihrer Stellung und der Neigung seines Körpers kannst du schließen, wohin er ausweichen will; dorthin wirfst du die beiden andern!“
Jetzt erscholl die Stimme des Scheiks, und Halef schritt langsam seinem Platz zu. Ich warf unwillkürlich einen Blick auf Hanneh. Sie lächelte, und als sie bemerkte, daß ich sie ansah, nickte sie mir zu und sagte:
„Es ist mein Hadschi Halef!“
Sie ahnte wahrscheinlich gar nicht, welches Lob sie in solcher Kürze ausgesprochen hatte und welche Summe von Vertrauen in diesem einfachen Ausspruch lag!
Tawil Ben Schahid empfing unsern Scheik mit den Worten:
„Der Scheïtan hat gewollt, daß der erste Gang zu euern Gunsten ausgefallen ist; er hat unserm besten Schützen die Ruhe des Armes und die Festigkeit des Blickes genommen; aber bildet euch ja nicht ein, daß ihr gewinnen werdet! Ich sehe die drei Lanzen schon in deinem Leibe!“
„Was hast denn du hier herumzureden?“ fragte ihn Halef. „Du hast dich vom Kampf ausgeschlossen, obwohl du als Scheik die erste Person desselben sein solltest. Was wirfst du also mit Worten um dich herum? Du gehörst gar nicht hierher!“
Da stieß der Zurechtgewiesene einen zornigen Fluch aus, zog sich aber zurück, ohne noch etwas zu sagen.
Nun standen sich die beiden Hauptpersonen in einer Entfernung von fünfundzwanzig Schritten gegenüber. Der Ben Khalid hatte zwei seiner Speere vor sich in den Sand gesteckt; den dritten hielt er in der Hand, fuhr mit ihm demonstrierend durch die Luft und rief:
„Schau her! Hier steht der berühmteste Mann des Speeres, vor dessen Kraft und Geschicklichkeit du dich verkriechen mußt!“
„Natürlich!“ antwortete Halef lachend.
„Du wirst jetzt erfahren, was es zu bedeuten hat, wenn jemand das Wagnis unternimmt, sich mit mir messen zu wollen!“
„Natürlich!“
„Mein Dscherid wird dir mitten durch den Leib fahren!“
„Natürlich!“
Erst jetzt, beim drittenmal, erkannte der Prahler die ironische Bedeutung dieses Wortes. Er wurde darüber zornig und schrie den Hadschi an:
„Du willst mich höhnen? Meine Antwort darauf wird deinen augenblicklichen Tod bedeuten!“
„Natürlich!“ lachte Halef nun zum viertenmal.
„Das, das soll dein letztes, dein allerletztes Lachen sein! Paß auf, er kommt – – – er kommt!“
Während er das sagte, holte er aus und ließ den Speer bei dem letzten Worte fliegen. Die Waffe ging sehr nahe an Halef vorbei und fuhr hinter ihm mit ihrer Spitze in den Sand. Dieser Mann war ein sehr beachtenswerter Gegner!
Es hatte genau so ausgesehen, als ob der Dscherid den Hadschi treffen müsse. Der Wurf war gut gezielt, und so ließ keiner der Beni Khalid ein Wort des Tadels hören, vielmehr erklangen die aufmunternden Rufe: „Das war gut, recht gut! Schnell noch einmal – noch einmal, ehe er selbst wirft!“
Der Mann folgte dieser Aufforderung. Er zog den zweiten Dscherid aus dem Sand und wog ihn vor dem Wurf weit länger als den ersten in der Hand. Er sauste zwei Hände hoch über
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