19 - Am Jenseits
denn gar nicht, ein Gewehr in die Höhe zu nehmen? Dir zittern wohl alle Glieder vor Angst, den Knall des Pulvers zu hören? Fürchte dich nicht, mein Knabe! Deine Kugel gilt ja nicht dir, sondern mir, und die Luft da um mich her hat Platz genug für sie!“
Da sagte Kara sein erstes Wort, und zwar in so gelassener Weise, daß wir uns alle darüber freuen mußten:
„Diese Luft hat keinen Raum für sie, denn die Stelle, wo meine erste Kugel sitzen wird, liegt nicht in der Luft, sondern in deinem Körper. Ihr trachtet nach unserm Leben, wir aber nicht nach dem eurigen. Ich werde dir also das deinige schenken!“
„Ich brauche nicht geschenkt zu nehmen, was mir überhaupt gehört und nicht von dir genommen werden kann. Prahle also nicht, sondern schieß!“
„Ich werde dir beweisen, daß ich es dir nehmen könnte, wenn ich wollte. Ich sage dir vorher, daß ich dich in das Knie schießen werde. Ebenso gut aber würde ich dich in den Kopf oder in das Herz treffen!“
„Schieß, schieß, sage ich! Ich warte mit Ungeduld darauf, um dich dann auszulachen!“
Das war natürlich nur Redensart, denn daß er Angst hatte, getroffen zu werden, zeigte er dadurch, daß er jetzt eine Stellung einnahm, welche zur Folge hatte, daß er seinem Gegner so wenig wie möglich Körperfläche zum Zielen bot. Er kehrte ihm nämlich nicht den Vorderkörper, sondern die Seite zu.
Als ich das sah, mußte ich an meinen dann so vielbesprochenen Schuß denken, mit welchem ich Tangua, dem Häuptling der Kiowa-Indianer, beide Knie zerschmetterte und infolgedessen Mitglied des Apachenstamms wurde. Tangua hatte damals dieselbe Stellung gewählt, um nicht getroffen zu werden, und sie trotz meiner Warnung beibehalten; die Strafe war für diese Unredlichkeit gewesen, daß ihm meine Kugel nicht bloß durch eines, sondern durch beide Knie gegangen war. Genau denselben Schuß konnte Kara jetzt auch tun, und ich traute ihm allerdings zu, denselben Erfolg zu haben.
„Warum stellst du dich anders, als ich gestanden habe?“ fragte er.
„Ich tue, was ich will!“
„Du fürchtest dich!“
„Laß dich nicht auslachen, unerfahrener Junge! Ich werde sogar selbst zählen! Also: Eins – – – zwei – – –!“
Da nahm Kara sein Gewehr nicht langsam und bedächtig auf, um nach Beduinen- oder überhaupt gewöhnlicher Weise zu schießen, sondern er bediente sich der schnellen Tempi der amerikanischen Westmänner, die er nach meiner Anleitung eingeübt hatte. Das Schießen auf diese Art scheint schwerer zu sein, ist es aber nicht; es erfordert allerdings eine nur durch lange Ausdauer zu erreichende Fertigkeit, bietet dafür aber eine um so größere Treffsicherheit. Er warf, als der Ben Khalid „Eins!“ sagte, das Gewehr empor, hatte es bei „Zwei!“ im Anschlage, und bei „Drei!“ krachte, ganz genau nach dem höhnischen Kommando, der Schuß, so daß das Wort gar nicht zu hören war. Fast in demselben Augenblick warf der Ben Khalid beide Arme hoch in die Luft, taumelte einmal hin und einmal her und stürzte dann zur Erde, von welcher er sich nicht mehr erheben konnte. Kara hatte ihn wirklich durch beide Knie getroffen; es war ein Meisterschuß gewesen! Für einige Augenblicke war alles still; darum hörte man die lauten, stolzen Worte des Siegers:
„Der unerfahrene Junge hat sein Wort gehalten. Es fließt das Blut; folglich ist dieser Kampf zu Ende. Der Besiegte gehört nun mir; aber ich schenke ihm die zweite und die dritte Kugel und mit ihnen das Leben. Kara Ben Halef ist ein Krieger, aber kein Mörder!“
Hierauf drehte er sich um und kam mit ernstem und doch freudestrahlendem Gesicht auf uns zugegangen. Drüben waren alle Beni Khalid aufgesprungen; sie rannten zu dem Verwundeten. Diese Hunderte von Stimmen vollführten einen wahren Höllenlärm, um den wir uns aber nicht kümmerten. Halef drückte seinen Sohn an das Herz und küßte ihn wohl zehnmal auf die Wangen. Als er sich vor der Mutter niederbeugte, legte diese ihm die Hand wie segnend auf das junge Haupt und sagte in überquellender Zärtlichkeit:
„Ich wußte, daß du siegen und auch nicht verwundet würdest. Mein Sohn, du hast alle, alle unsere Hoffnungen so schön erfüllt. Deine Eltern und der ganze Stamm der Haddedihn sind stolz auf dich! Allah behüte und beschirme deine Wege!“
Ich drückte ihm nur still die Hand und nickte ihm anerkennend zu. Da sah er mir so ernst in die Augen und sagte:
„Sihdi, weißt du, was ich dachte, als ich dort stand und auf seine
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