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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Ich habe zum Beispiel Beobachtungen gemacht, welche mir bewiesen, daß der Hund ein schärferer Menschenkenner ist als der Mensch selbst, und wenn das Tier in der Beziehung eine anerkennenswerte Tätigkeit der Seele zeigt, so widerstrebt es mir auch in anderer Beziehung, es für unfähig zu halten. Und doch, wie gefühllos verfährt der Mensch gegen seine Mitgeschöpfe, die ebenso wie er ihr Dasein der Güte des Alliebenden verdanken! Ich glaube nicht, daß er sie dazu geschaffen hat, versengt, verbrüht, verhungernd und verdurstend, an das Marterbrett geschnallt, qualgekrümmt und schmerzheulend auf dem Felde des Tierversuchs, der heiligen Vivisektion, zu verenden oder vielmehr, noch lebend schon als Aas behandelt, zu verrecken! Man verzeihe mir diesen unästhetischen, doch wahren Ausdruck! Ich bin ein Menschenfreund und darum auch ein Tierfreund, und beides muß und muß und muß ich sein, weil ich als Christ nicht anders kann! Wer als Tierquäler über diesem Christentum erhaben steht, der mag immerhin über mein schwaches, lächerlich gefühlvolles Herz aburteilen; ich aber bin ganz froh, daß ich grad dieses und kein anderes, auch nicht das seinige, habe! Halef würde sagen: „El Mizan, el Mizan, die Brücke der Gerechtigkeit! Sie mißt auch das kleinste unserer Gefühle!“ Und ich gestehe aufrichtig, daß ich, wenn ich ein Jünger der so inbrünstig festgehaltenen, inevitabeln Vivisektion wäre, mich vor dieser Waage fürchten würde! Doch weg von dieser Abschweifung, welche vielleicht Entschuldigung findet, weil sie aus dem Herzen kam!
    Ich gab dem Hedschihn noch einige der Bubuna-Pflanzen und stieg dann wieder auf, denn nach dieser höchst notwendigen Schonung des braven Tieres durfte keine weitere Minute versäumt werden. Wir begannen wieder im Schritt, gingen dann in schnelleres Tempo über, worauf ich das Geheimnis wieder wirken ließ. Maschurah gehorchte dieses Mal sofort.
    Es tat mir leid, sie zum zweitenmal in dieser Weise anstrengen zu müssen; aber es handelte sich um viele Menschenleben, und so außerordentlich ihre Leistung war, das, was man ‚Schinden‘ nennt, das war es denn doch nicht. Sie ging freiwillig; sie trug keine Kandare, kein schmerzendes Gebiß, und sie wurde von keinem Peitschenschlag getrieben.
    So flogen wir wieder bergan und bergab wie vorher. Wie oft wich der Sand unter ihren Füßen; wie häufig war sie dem Sturz, dem Überschlagen nahe, ohne daß ich sie, wie bei einem Pferd, mit Hilfen unterstützen konnte! Und doch kam sie wohl zum Straucheln, zum Stolpern, Gleiten, doch aber nicht zum Fall. Sie hielt aus; sie war ein wirklich unbezahlbares Tier!
    Da kam ein Augenblick, an welchem eine ungewöhnlich hohe, aber auf dieser Seite nicht steile Düne zu nehmen war. Sie stieg langsam empor, allmählich, und Maschurah fegte im rasenden Lauf hinauf; hätte ich auf dem Herweg gewußt, daß und in welcher Weise ich wiederkommen würde, so wäre ich wohl aufmerksam gewesen, mir die gefährlichen Stellen gut zu merken. Es schwebte mir jetzt eine vor, wo die nördliche Kante einer Düne oben eingefallen war; es gab da einen steilen Sandsturz, den wir, um auf die Höhe zu gelangen, hatten umreiten müssen. Jenseits war es dann um so weniger schroff, fast bequem, hinabgegangen. Sollte das die jetzt vor uns liegende Höhe gewesen sein?! Es ging ja hier auf der südlichen Seite leicht hinan! Herrgott! Dann stand uns ein schwerer Fall bevor!
    „Yawahsch, yawahsch, yawahsch!“ schrie, nein brüllte ich.
    Aber das Hedschihn war schon hinauf; es wollte auch gehorchen, konnte es aber nicht so schnell, wie es erforderlich war. Ja, ein Pferd, welches man an den Zügeln hat, das reißt man auf die Seite, was allerdings auch nicht ungefährlich ist! Aber hier saß ich im hohen Kamelsattel und besaß weder im Metrek noch in der Maulleine ein Mittel, das Tier so rasch von der gefährlichen Richtung abzubringen. Mein Ruf bewirkte zwar sofort eine Verringerung der vorwärtstreibenden Energie, aber doch schon zu spät. Ich sah nicht hinüber nach der nächsten Höhe und auch nicht hinunter in das zwischen ihr und uns liegende Dünental; ich hatte keine Zeit dazu, denn das, was jetzt geschah, vollzog sich in einem einzigen Augenblick. Ich bemerkte, in dem Moment, als wir die Kante oben erreichten, nur den vor uns gähnenden Sandsturz, weiter nichts, zog das linke Bein auf die rechte Seite und warf mich vorwärts, vom Kamel herab und in das Loch hinunter. Das war das einzige, was ich zu meiner Rettung

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