19 - Am Jenseits
geöffnet hatte und mich bewegte, ging ein höhnisch grausames Lächeln über sein von Halefs Peitsche gekennzeichnetes Gesicht. Er deutete mit der Hand auf mich und sagte zu El Ghani:
„Schau! Er lebt; er hat also den Hals nicht gebrochen! Allah hat mir ihn für meine Kugel aufgehoben. Jetzt muß er sagen, warum er hierhergekommen ist. Wenn er es nicht gesteht, werden wir ihn schon zu zwingen wissen, die Wahrheit zu sagen! Du hast meine Worte gehört. Nun sprich, Hund!“
Diese Aufforderung galt mir. Ich antwortete, ohne auf den ‚Hund!‘ zu achten:
„Ich habe keinen Grund, zu schweigen. Es fiel mir ein, daß ihr auf den Gedanken gekommen sein könntet, den Basch Nazyr zu überfallen und ihm den Kanz el A'da wieder abzunehmen; da bin ich ihm auf seinem Hedschihn, welches er mir geschenkt hat, nachgeritten, um ihn zu warnen.“
„Allein?“
„Ja.“
„Wo sind die Haddedihn?“
„Auf dem Weg, welcher von hier nach der Aïn Bahrid führt.“
„Sie werden dich nicht wiedersehen, aber uns, denn wir holen sie ein, um sie zu vernichten. Also, das Hedschihn, das kostbare, hat er dir geschenkt? Wohl weil du ihm das Leben und den Schatz gerettet haben willst?“
„Ja.“
„So ist es liebreich von dir, daß du es mitgebracht hast. Ich werde es behalten, und eure Pferde, von denen ich gestehe, daß sie ihresgleichen suchen, kommen auch in den Besitz meines Stammes; ihr aber lauft alle in die Krallen des Teufels. Daß dies geschieht, dafür werde ich jetzt sorgen!“
Während er sprach, waren seine Augen und auch die Blicke der Mekkaner in einer Weise auf mich gerichtet, daß ich einsehen mußte, bei ihnen keine Spur von Erbarmen zu finden. Der Münedschi horchte aufmerksam auf jedes Wort. Jetzt, als der Scheik schwieg, wendete er sich mit der Frage an ihn:
„Das ist der Effendi aus dem Wadi Draha der hier gefangen vor uns liegt?“
„Ja“, antwortete Tawil.
„Was werdet ihr mit ihm tun?“
„Er wird erschossen, und zwar gleich hier! Hast du etwas dagegen einzuwenden?“
„Nein, gar nichts. Ich stimme vollständig bei. Ich hätte ihm noch einige Bemerkungen zu machen, unterlasse es aber, weil so ein Mensch nicht wert ist, daß ich mit ihm spreche. Ich habe ihm in das Gesicht gespuckt; das ist für ihn genug, um zu wissen, was ich von ihm denke und wie unendlich ich ihn verachte. Während er vorgibt, ein frommes, unschuldiges Lamm zu sein, ist er ein Raubtier, und zwar ein so gefährliches, daß man sich mit seiner Tötung Allahs Lohn verdient. Ihn zu schonen, würde die größte Sünde sein, die ihr auf euch laden könnt. Er gehe also dahin, wohin er gehört: in die Hölle!“
Da ließ sich auch El Ghani hören:
„Das ist ganz so, als ob ich es gesagt hätte! Ich gebe also auch meine Zustimmung und fordere von dir, o Scheik, daß er erschossen wird!“
„So? Ihr stimmt also bei!“ fragte der Scheik in einem so ironisch wegwerfenden Ton, daß ich vermutete, das Verhältnis zwischen ihm und seinen ‚Gastfreunden‘ sei nicht mehr das frühere. „Es ist prahlerisch und lächerlich, mir eure Einwilligung anzubieten. Ich tue hier, was mir beliebt, und frage nicht, ob es euch paßt oder nicht. Ihr wißt ja, wie wir jetzt zusammen stehen! Bildet euch also nicht ein, daß ich mich nach euren Wünschen richte!“
„Ich wünsche nichts, sondern ich fordere mein Recht! Vor allem verlange ich den Perser für mich! Er hat mir, dem Liebling des Großscherifs, die Schande des Diebstahls frech in das Gesicht geworfen; er ist mir mit Soldaten nachgeritten, wie man einen ehrlosen Verbrecher verfolgt; er trägt die Schuld an der Behandlung und an allen Beleidigungen, die wir am Bir Hilu erduldet haben, er, der von Allah verdammte Schiit, der nicht wert ist, daß ich ihn auch nur mit dem Fuß berühre, um ihn fortzustoßen. Darum verlange ich, der Vollstrecker des Urteils zu sein. Es darf ihn keine andere Kugel treffen, als nur die meinige!“
„Dagegen habe ich nichts“, lachte der Scheik in einer jeden Gefühls baren Weise. „Wenn es dir Spaß macht, ihn mit deiner eigenen Hand in die Hölle zu schleudern, so werde ich dich nicht hindern, es zu tun. Hast du geladen? Du kannst es sofort tun, denn unsre Zeit für hier ist abgelaufen.“
Er stand auf, der Ghani auch. Sollte das im Ernst gemeint gewesen sein? Das wäre ja fürchterlich! Ich erhob meine Stimme, um gegen diesen Mord zu protestieren, erhielt als Antwort aber nur ein höhnisches Gelächter. Da hörte ich, jetzt und hier zum erstenmal, die
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