19 - Am Jenseits
oder vor einigen Kurden nicht gleich ausgerissen sind. Für so hochwichtige Leute darfst du uns denn doch nicht halten. Ich sage dir, wenn eine ganze Million Menschen unserer Sorte jetzt plötzlich stürbe, die Weltgeschichte würde ihren Gang sehr ruhig weitergehen!“
„Das glaube ich nicht, Sihdi!“
„Es ist aber so!“
„Nein, denn meine Haddedihn gehören doch auch zur Weltgeschichte, und wenn ich jetzt plötzlich stürbe, so würde die Haddedihnsche Abteilung der Geographie und Geschichte in die bittersten Tränen ausbrechen und eine sehr traurige werden. Und was soll aus dem Stamm der deutschen Beduinen werden, wenn du hier stirbst und nicht zu ihnen wiederkehrst? Zunächst würde in deinem Harem sich ein großes Weinen und Klagen erheben, und von diesem deinem Frauenzelte aus würde sich dann eine niemals versiegende Flut der Tränen ergießen über alle Berge, Täler und Ebenen deines Vaterlandes. Die Palmen eurer Oasen würden eingehen vor Schmerz und die Herden der Kamele hinsinken durch die Seuche unheilbarer Traurigkeit. Es würde ein großer, unendlicher Jammer ausbrechen – – –“
„Sei still!“ unterbrach ich ihn. „Meine Emmeh würde trauern und mir sehr bald nachfolgen; davon bin ich überzeugt; sonst aber dürfte deine niemals versiegende Tränenflut nur deine Phantasie überschwemmen. Wir sind nichts Besseres als andere Menschen und haben keine Ursache zu solchen Posaunentönen, wie du immer erschallen lassest, wenn von dir und mir die Rede ist. Hörst du wohl, ich sage ‚dir und mir‘. Weißt du, was ich meine?“
„Nein.“
„Sooft ich von uns beiden spreche, bin ich so höflich, dich zuerst zu nennen; das habe ich stets getan. Du aber sagst stets ‚mir und dir‘ oder ‚mich und dich‘, stellst also immer dich voran! Das habe ich jahrelang beobachtet und niemals eine Ausnahme bemerkt. Kannst du dir wohl denken, als welchen Beweis ich mir diesen an und für sich geringfügigen Umstand wohl habe gelten lassen?“
„Sihdi, von diesem Umstände weiß ich ja gar nichts!“
„Das ist es ja eben! Wenn ich mit dir von uns beiden spreche, so denke ich nicht nur an die dir schuldige Höflichkeit, sondern auch an meine Freundschaft und Liebe zu dir, welche mich bestimmen, dich stets voranzusetzen. Du aber weißt nichts davon; du denkst gar nicht daran, und weil du dich für einen ungeheuer bedeutenden Menschen hältst, bringst du dein liebes Ich ohne alle Ausnahme stets zuerst.“
„Ist das wahr, Effendi?“
„Ja.“
„Das möchte ich aber doch kaum glauben!“
„Ich könnte es dir beweisen, wenn auch nur indirekt.“
„Wodurch?“
„Du weißt, daß ich in meinen Büchern auch unsere Reisen und Erlebnisse beschreibe. Du hast mich gebeten, dich ganz genau so zu schildern, wie du bist, um Allahs willen ja nicht anders. Das habe ich getan, und nun kann jeder, der ein solches Buch in die Hand bekommt, nachschlagen und sich überzeugen, daß du mich immer hinter dich stellst, mich stets erst nach dir nennst.“
Da faßte er mich schnell und kräftig am Arm, zog mich einige Schritte fort, als ob jemand dastehe, der seine Worte nicht hören solle, und fragte mich in erschrockenem, heftigem Tone:
„Du, Sihdi, steht das wirklich in den Büchern?“
„Ja.“
„Und jeder kann es lesen?“
„Meine Bücher befinden sich in mehr Händen, als du denkst. Hunderttausende haben es schon gelesen.“
„Sei barmherzig und sag, daß es nicht so ist!“
„Das kann ich nicht, denn es ist wirklich so.“
„Allah kerihm! So sei Allah mir gnädig! Was müssen diese Leute alle von mir denken! Für was müssen sie mich halten, den Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar! Wenn mein Mich stets vor deinem Dich zu finden ist, ohne daß ich deinem Dir vor meinem Mir den Vortritt lasse, so ist zu befürchten, daß unser Uns auch stets an der unrechten Stelle steht! Mein ganzer Ruhm ist hin! Man wird mein Ich für ungeheuer rücksichtslos halten und mich mit Recht der unhöflichen und also unverzeihlichen Zurückstellung deines dir mit vollstem Rechte gehörenden Du beschuldigen! Die Ehre meiner bescheidenen Unterwürfigkeit ist hingeschwunden und der Glanz meiner schönen Umgangsform in Finsternis verwandelt! O Sihdi, warum, warum hast du das mir, deinem treuen Halef, angetan!“
„Du hast es so gewollt. Ich sollte dich ja nicht anders beschreiben, als du bist!“
„Das ist wohl wahr; aber als ich diesen Wunsch aussprach, war mir das Mich und Dich ganz unbekannt.
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