19 - Am Jenseits
seine Leute nach der Vorschrift auf:
„Gebt euer Zeugnis über diesen Toten!“
„Er war einer von den Tugendhaften“, antworteten sie.
Als nun der Tote mit Sand bedeckt worden war, folgte die Fattha wieder und hierauf das Schlußgebet, welches aus den drei letzten Versen der Sure Bagarah besteht:
„Alles, was im Himmel und auf Erden ist, gehört Gott. Er wird euch über das, was sich in eurem Herzen befindet, mögt ihr es veröffentlichen oder verheimlichen, zur Rechenschaft ziehen. Er verzeiht, wenn er will, und er bestraft, wenn er will, er, Gott, der über alle Dinge mächtig ist. Der Prophet glaubt an das, was ihm von Gott offenbart worden ist, und alle Gläubigen glauben an Gott, an seine Engel, an seine Schrift und an seine Propheten. Wir machen keinen Unterschied zwischen seinen Propheten. Sie sagen: ‚Wir hören und gehorchen.‘ Dich aber, o Herr, bitten wir um Gnade, denn zu dir kommen wir einst. Gott zwingt niemanden, über seine Kräfte zu tun, aber den Lohn dessen, was man Gutes oder Böses getan hat, wird man erhalten. O Herr, bestrafe uns nicht, wenn wir ohne oder mit Absicht gesündigt haben! Lege uns nicht auf das Joch, welches du denen auferlegtest, die vor uns lebten. Lege uns nicht mehr auf, als wir tragen können. Verzeihe uns; vergib uns; erbarme dich unser; du bist unser Beschützer! Hilf uns gegen die Ungläubigen!“
Hiermit war die Zeremonie beendet, die bei Begräbnissen in bewohnten Orten natürlich eine ganz andere ist.
Nun schickte El Ghani einen seiner Leute mit einem leeren Wasserschlauch zu uns, den wir füllen ließen; dann rüsteten sie sich zum Aufbruche. Als sie die Kamele bestiegen hatten, ritten die andern fort, ohne uns zu beachten; El Ghani aber lenkte das seinige nahe zu uns heran und rief uns zu:
„Ihr habt nicht laut mitgebetet, obwohl das eure Pflicht gewesen wäre. Darum haben wir das Angesicht des Toten unbedeckt gelassen, damit er euch im Jenseits verfluche, wenn ihr nicht dadurch Teil an seiner Bestattung nehmt, daß ihr ihm die noch fehlende Erde gebt. Eure Beleidigungen habe ich behalten, ich nehme sie mit mir, aber sobald ihr nach Mekka kommt, rechne ich dort mit euch ab. Es bleibt euch keines eurer Worte geschenkt. Allah verfluche euch!“
Da sprang Halef auf, riß die Peitsche empor, sprang dem Mekkaner nach und langte ihm zwei oder drei so kräftige Hiebe zu, daß der Getroffene vor Schmerz brüllte. Er hatte bei der außerordentlichen Behendigkeit des Hadschi keine Zeit gefunden, sich schnell genug davonzumachen. Dieser rief ihm noch nach:
„Hund, Hundsgroßvater und Urhundsenkel! Da hast du einen Teil der Abrechnung schon heute mit! Den Rest werde ich dir in Mekka ehrlich zahlen! Mach dich gefaßt! Was ich verspreche, halte ich gewiß!“
Es klangen noch einige Flüche zu uns her; dann war der ‚Liebling des Großscherif‘ mit seinen Leuten verschwunden.
Die Haddedihn tauschten sehr lebhaft ihre Meinung über unsere Begegnung mit den Mekkanern aus. Halef beteiligte sich natürlich sehr daran; ich war still. Als ihm das nach längerer Zeit auffiel, fragte er mich nach dem Grunde meines Schweigens. Ich mußte die Antwort für später aufheben; mein Schweigen sollte eine Strafe für ihn sein; ich wußte, wie empfindlich er dafür war. In Gegenwart seiner Frau und seines Sohnes konnte ich ihm doch nicht sagen, daß er zwei unverzeihliche Fehler begangen hatte. Er hätte den Mekkanern unsere Namen nicht sagen und dann zuletzt El Ghani nicht schlagen dürfen, denn wenn dieser wirklich ein angesehener Bürger der heiligen Stadt war und gar in persönlicher Beziehung zu dem Großscherif stand, so konnte er uns nicht nur bedeutende Ungelegenheiten, sondern noch viel mehr bereiten, zumal ich ja nicht Mohammedaner und darum auf die größte Vorsicht angewiesen war.
In Beziehung auf den wiederholt genannten Scherif von Mekka bemerke ich, daß das Wort Scherif soviel wie edel, adelig, erhaben bedeutet. Unter einem Scherif versteht man einen direkten Abkömmling Mohammeds durch dessen Tochter Fatima, welche die Frau Alis war. Den Scherifs steht es allein zu, einen grünen Turban und ein grünes Oberkleid zu tragen. Die kleinste Beleidigung eines solchen Edlen wird sehr streng geahndet. Die Scherifwürde überträgt sich sowohl durch männliche wie auch weibliche Personen. Man hat, besonders in Persien, mehrere Zweige der Eschraf, so die Aliiden, Fatimiden, Dschafariden, doch gibt es auch Familien, welche sich als scherif bezeichnen, es aber nicht sind.
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