19 - Am Jenseits
erfahren, was die Zunge der Unhöflichkeit zu leisten vermag. Ich werfe dir alle Grobheiten der Erde und des Weltalls an den Kopf, und auch noch einige hundert mehr! Sobald du dich mit mir streiten willst, können mir alle deine Heiligtümer ganz und gar nicht imponieren, weil die Wahrheit heiliger als dein ganzes Meschhed Ali ist, und du hast mir soeben die Unwahrheit gesagt. Gestehe es ein!“
„Ich kann nur eingestehen, daß ich die Wahrheit gesprochen habe.“
„Beweise es!“
„Hast du vorhin von dem Chandschar gesprochen, den der Effendi im Gürtel hat?“
„Ja, das habe ich.“
„Hast du gesagt, daß er ein Geschenk von Mirza Dschafar sei?“
„Ja.“
„Nun, damit hast du verraten, daß der Effendi nicht Akil Schatir, sondern Kara Ben Nemsi heißt.“
„Wieso?“
„Weil ich von Dschafar weiß, daß er diesen Chandschar seinem Freunde Kara Ben Nemsi geschenkt habe.“
„Wann?“
„Vor einer Reihe von Jahren.“
„Wo?“
„In einem Lande, welches jenseits des großen, westlichen Meeres liegt und Yeni dünja (Amerika) genannt wird.“
Jetzt machte Halef wieder sein langes Gesicht.
„Das stimmt; das stimmt ganz und gar! Allah, was gibt es doch für unvorsichtige, leichtfertige Menschen! Wir wollten mit dem Effendi nach Mekka, und weil er als Christ die heilige Stadt nicht betreten darf, habe ich aus ihm einen berühmten, mohammedanischen Gelehrten gemacht und ihm einen Namen gegeben, dessen Länge von Bagdad bis nach Stambul reicht. Und nun ich mir alle diese Mühe gegeben habe, muß ich erfahren, daß diese Anstrengung der ganzen Breite meines Verstandes umsonst gewesen ist, weil Mirza Dschafar, unser Freund, so unvorsichtig war, dir die Geschichte von dem Chandschar mitzuteilen!“
Da konnte sich selbst Hanneh nicht länger halten. Sie bog sich über den Rand des Tachterwahn herab und rief ihm zornig zu:
„Hadschi Halef, du bist der Unvorsichtige gewesen, du selbst, du, du!“
„Ich – – –?“ fragte er, zweifelnd zu ihr aufschauend.
„Ja, du!“
„Inwiefern?“
„Mirza Dschafar hat es gut gemeint, auch konnte er nicht wissen, daß uns dieser Basch Nazyr einmal zu einer Zeit begegnen werde, in welcher der Effendi Veranlassung hat, einen andern Namen zu tragen. Gibst du das wohl zu?“
„Ja, ja! Du weißt ja, wenn du sprichst, welche die klügste unter den weisesten aller Frauen ist, so hast du stets nur das gesagt, was auch ich in diesem Falle sagen würde!“
„Gut! Du aber wußtest, daß der eigentliche Name des Effendi verschwiegen bleiben soll; du hörtest auch, daß der Basch Nazyr den Mirza kennt, und sprachst dennoch von dem Chandschar! Du konntest dir doch denken, daß beide von dieser Waffe, von diesem Geschenke miteinander gesprochen hatten!“
„So? Konnte ich mir das denken?“ fragte er kleinlaut.
„Du konntest nicht nur, sondern du mußtest es! Warum sprichst du immer, wenn der Effendi reden will? Der berühmte Scheik eines so großen Stammes muß nicht immer reden, sondern schweigsam sein!“
Da legte er den Körper zurück, die Hände zusammen und sagte:
„Du hast recht, o Hanneh, du verständigste unter allen Selbstverständigkeiten der Frauenzelte; ich bin berühmt und werde schweigen! Du hast mir auch dieses Mal aus der Seele gesprochen!“
Und nun nahm er mit der größten Seelenruhe den Trost entgegen, den ihm der Perser gab:
„Sorge dich nicht um die Sicherheit deines Effendi, o Scheik der Haddedihn! Keiner von uns wird seinen wahren Namen verraten; das verspreche ich dir bei Allah, dem Propheten und bei den Söhnen Alis, des Kalifen! Es macht mich so glücklich, Kara Ben Nemsi so unerwartet kennen zu lernen, und nur weil er es ist, habe ich seinen Worten ein solches Vertrauen geschenkt. Wenn er sagt, er habe die Diebe gesehen, welche ich suche, so bin ich überzeugt, daß es wirklich so und nicht anders ist!“
„Es ist so!“ bekräftigte ich.
„Du hast Leute gesehen“, fuhr er fort. „Woher aber weißt du, daß es die sind, von denen ich spreche?“
„Du machtest wiederholt die Angabe von vier Tagen, und dies war mir im Zusammenhange mit einigen anderen Umständen genug, die Personen, welche ich meine, für die Gesuchten zu halten.“
Hierbei muß ich bemerken, daß El Münedschi sich auch jetzt noch in seinem schlafähnlichen Zustande befand und von dem Stillhalten der Kamele und unsrem Gespräch gar nichts merkte. Wir hatten ihm das Schleiertuch über das Gesicht gezogen, damit die Sonne ihn nicht stören möge. Er
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