19 - Am Jenseits
meinen ganzen Stamm beleidigt!“
„Und du hast dich nicht nur an ihm vergriffen, sondern auch mich und den ganzen Stamm der Haddedihn mit dem Schmutze deines Mundes besudelt. Du darfst dir also nicht einbilden, etwas vor ihm vorauszuhaben!“
„Aber woher nimmst du das Recht, Richter über mich zu sein?“
„Daher, woher du dir die Befugnis genommen hast, über ihn abzuurteilen. Du siehst, es gibt für dich keine Tür, durch welche du mir entschlüpfen kannst. Stirbt er, so stirbst auch du; willst du leben bleiben, so muß auch er gerettet werden. Deine Lage ist genau dieselbe, wie die seinige, und ich sorge dafür, daß sie sich in jeder Beziehung auch weiter nach ihr richtet.“
„So ist es dein Ernst, daß ich mich hier verbluten soll?“
„Ja, natürlich! Wenn du geglaubt hast, daß ich scherze, so befindet sich in deinem Kopf noch weniger Denkkraft, als ich dachte. Menschenblut ist eine sehr teure und ernste Sache, mit welcher man keinen Scherz treiben darf, zumal hier in der Wüste, wo strenger als sonstwo Blut mit Blut zu bezahlen ist. Überlege dir das. Du hast Zeit dazu. Jetzt bin ich einstweilen mit dir fertig.“
Er wendete sich von ihm ab und kam zu mir.
„Sihdi, habe ich einen Fehler gemacht?“ fragte er mich.
„Nein“, antwortete ich.
„So bist du also mit mir zufrieden?“
„Ja, sogar sehr.“
„Wie mich das freut, lieber Effendi! Du weißt, wie ich dich liebe und daß dein Wohlgefallen das Endziel meines ganzen Strebens ist. Du bist so schwer zu befriedigen; um so größer ist mein Entzücken darüber, daß es mir hier gelungen ist, mich der ganzen Fülle deines Beifalles zu erfreuen. Nun wollte ich dich fragen, ob ich diesem Menschen jetzt die Bedingungen mitteilen soll, unter welchen er sich sein Leben erhalten kann.“
„Jetzt noch nicht.“
„Warum nicht?“
„Weil er noch nicht überzeugt ist, daß du es mit dem Aderlaß ernst meinst. Er muß erst Angst, wirkliche Angst bekommen. Sorge also dafür, daß die Blutung nicht aufhört!“
„Kann das der Fall sein?“
„Ja, weil es sich nur um schwache Nebenadern handelt. Welche Bedingungen willst du stellen?“
„Ich gebe ihn nur gegen den Perser und die Soldaten frei. Bist du damit einverstanden?“
„Ja.“
„Ich dachte auch an die Mekkaner und wollte verlangen, daß er sie dem Perser ausliefere. Aber er hat sie als seine Gastfreunde bezeichnet, und da verlangt die Wüstenregel von ihm, daß er lieber stirbt, anstatt auf diese meine Forderung einzugehen.“
„Das ist richtig, und bei seinem Charakter bin ich überzeugt, daß er auch gar nicht anders handeln würde. Laß ihm also diese Leute; wir bekommen sie doch!“
„Wann?“
„Heute am Abend oder in der Nacht.“
„Wieso?“
„Denke an das, was nun kommen wird, nachdem er in unsere Hände gefallen ist! Du willst doch seine Beni Khalid benachrichtigen lassen, wo er sich befindet?“
„Natürlich!“
„Und daß er sterben muß, wenn sie den Perser sich verbluten lassen?“
„Ja. Ich schicke einen seiner Begleiter fort, der ihnen zu sagen hat, daß ihr Häuptling solange bluten wird, bis der Perser sich bei uns einfindet. Wie meinst du, werden sie ihn schicken?“
„Jedenfalls.“
„Auch die Soldaten?“
„Auch diese. Es wird ihnen zwar schwer ankommen, aber um ihren Häuptling, ihren Scheik zu retten, bleibt ihnen ja nichts anderes übrig. Nun frage dich einmal, was die Mekkaner tun werden, sobald sie sehen, daß ihre Verfolger wieder freigelassen werden!“
„Sie werden sich schleunigst aus dem Staub machen.“
„In welcher Richtung?“
„Nach Mekka zu; das ist doch selbstverständlich.“
„Ja; aber ebenso selbstverständlich ist es, daß wir sie dort erwarten und abfangen, um sie dem Perser auszuliefern. Freilich müssen wir auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß sie sich bei den Beni Khalid sicherer fühlen als anderswo und also bei ihnen bleiben wollen, bis wir und der Perser fort sind. Dies müssen wir zu verhüten suchen, denn diese mekkanischen Diebe haben sich so zu uns verhalten, daß es uns gar nicht einfallen kann, ihnen das Entkommen zu erleichtern. Es liegt vielmehr so eine Ahnung in mir, daß wir auch für uns ein kluges Werk vollbringen, wenn wir dafür sorgen, daß sie den Diebstahl eingestehen müssen. Wir haben dann eine Waffe gegen El Ghani in der Hand, falls es ihm einfallen sollte, sich in der heiligen Stadt feindlich gegen uns zu verhalten.“
„Das begreife ich gar wohl, Sihdi; aber du befindest
Weitere Kostenlose Bücher