19 - Am Jenseits
unsern Mekkaner Freunden über ihn zu Gerichte saßen, wurde er zur Faßada (Aderlaß) verurteilt. Wäre er ein Christ, ein Jude oder sonst ein Heide gewesen, so hätten wir ihn ohne Gnade erschossen, aber da er zwar ein mißgläubiger Schiit, aber doch ein Moslem ist, haben wir ihm nur einige kleine Adern geöffnet, welche bis morgen zum Tagesanbruche auslaufen werden. So bleibt ihm also Zeit, seine Rechnung mit Allah und dem Engel des Todes in Ordnung zu bringen. Habt ihr schon einmal von der Strafe der Faßada gehört?“
„Ja. Es gibt Stämme, bei denen sie aus demselben Grunde angewendet wird, den du soeben bezeichnet hast: Der Tod ist bei ihr unvermeidlich, doch bietet die Langsamkeit des Sterbens dem Verurteilten die notwendige Zeit, sich auf den Schritt in das Jenseits vorzubereiten. Welche Ader habt ihr ihm geöffnet?“
„Zunächst nur zwei Fingerschlagadern; das ist für jetzt genug.“
„Die Soldaten, bei denen er liegt, werden aber die Verblutung dadurch zu verhindern suchen, daß sie ihn verbinden.“
„Das kann wieder nur ein Solaib sagen! Der Schiit ist ja gar nicht bei ihnen, sondern er liegt bei meinen Kriegern, welche streng darüber wachen, daß der Ausfluß des Blutes ein stetiger bleibt. Er ist so gebunden, daß er sich, und besonders den betreffenden Arm, gar nicht bewegen kann. Wenn ihr euch etwa darüber wundert, daß ich euch das alles so unbedenklich sage, so wiederhole ich, daß ihr es doch in kurzer Zeit erfahren und sogar sehen würdet, weil wir euch jetzt mit uns nehmen und dann nach unserm Lager bringen.“
„Werdet ihr das wirklich tun? Mein Gefährte hat euch ja gesagt, daß wir nach dem Brunnen wollen und diesen Vorsatz auch ausführen werden.“
„Was ihr beabsichtigt, das ist uns gleichgültig, denn hier geschieht nur das, was wir wollen!“
„Aber wenn wir uns weigern?“
„So zwingen wir euch!“
„Und wenn wir uns wehren?“
„Wehren? Lächerlich! Drei Solaib-Feiglinge gegen uns!“
Er lachte dabei wieder hellauf.
„Ihr seid ja auch nur drei!“ warf ich ein.
„Das würde gegen zehn, ja gegen hundert von eurer Sorte genügen! Versucht ja keinen Widerstand, denn ich schwöre euch bei Allah und all sei – – –“
Er hielt mitten in der Rede inne und blickte mit dem Ausdrucke des größten Erstaunens an uns vorüber nach der Felsenecke, hinter welcher wir hervorgekommen waren. Als ich mich umdrehte, um zu erfahren, was seine Aufmerksamkeit in dieser Weise und so plötzlich in Anspruch nahm, sah ich die beiden Kamele, welche den großen Tachterwahn (Sänfte) trugen, auf dessen Kissen Hanneh thronte. Sie waren, wie das bei diesen widerspenstigen Tieren sehr oft vorkommt, aus irgendeinem Grunde unruhig geworden und kamen uns nun nach. In für uns erfreulicher Weise war keiner der Haddedihn so unklug, der Sänfte zu folgen. Sie hegten keine Sorge, weder um uns noch um Hanneh, weil sie wußten, daß wir es nur mit drei Personen zu tun hatten, und blieben also hinter ihrer Ecke stehen. Es war für uns köstlich, die erstaunten Gesichter der Beni Khalid zu sehen.
„Ein Tachterwahn mit einem Weib!“ rief Tawil aus. „Zu wem gehört diese Frau?“
„Zu uns“, antwortete ich.
„Warum ist sie nicht gleich mitgekommen, sondern zurückgeblieben?“
„Frage sie selbst! Oder, wenn du das für besser hältst, frag ihre Kamele, die es wahrscheinlich grad so und nicht anders gewollt haben!“
„Erlaube dir keinen solchen Scherz!“ wies er meine Aufforderung zurück. „Fragen, ein Weib fragen!“ Er deutete mit der Hand auf Hanneh, die inzwischen so weit herangekommen war, daß ihre Tiere in ganz geringer Entfernung von uns stehenblieben, und fuhr fort: „Seht diese alte, häßliche Büjüd-schih! (Hexe) So ein Gesicht kann nur die Urahne eines Solaib besitzen; bei uns dürfte sie sich gar nicht sehen lassen! Dreht euch auf die Seite, sonst macht sie euch mit ihren triefenden Augen zauberkrank!“
Hanneh hörte diese höhnischen Worte, verhielt sich aber still. Halef war zunächst ebenso still. Wer da weiß, mit welcher fast beispiellosen Liebe er an seiner ‚herrlichsten Blume der Frauenzelte‘ hing und daß er sie für die ‚Schönste aller Schönen‘ hielt, der kann sich, aber auch nur annähernd, denken, welchen Eindruck diese Beschimpfung seiner Liebe und seiner Ehre auf ihn machte. So etwas war ihm noch nie vorgekommen. Wenn ich gesagt habe: er war still, so ist das nicht das richtige Wort gewesen, denn er war nicht nur still, sondern
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