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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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den Kopf vorbeugend, mir zurief:
    „Sihdi, ich habe es gefunden.“
    „Was ist's?“
    „Ein Paket, in einen Gebetsteppich gewickelt und mit einer Burnusschnur umwunden.“
    „Ist es groß?“
    „Nein, aber schwer. Willst du es haben, Sihdi?“
    „Nein, wenigstens jetzt noch nicht. Ich komme hinauf, um es selbst zu sehen.“
    Ich sprang vom Pferd und kletterte an dem hier vielleicht acht Meter hohen Gestein empor. Oben angekommen, stand ich nicht etwa schon auf der Höhe der Felseninsel, sondern erst auf einem beinahe rundherumlaufenden Absatz derselben, welcher den Fußrand mehrerer kahl und nackt aufstarrenden Spitzen bildete. Ich sah, daß es zwar keine einzige Stelle gab, an welcher man bequem hier heraufkommen konnte, aber diejenige, welche wir erklettert hatten, war grad die schwierigste von allen. Daraus war zu schließen, daß diejenigen, welche das Paket nach oben brachten, sehr große Eile und darum keine Zeit gehabt hatten, sich eine zugänglichere Stelle zu wählen. Die erwähnten Spitzen waren mehrfach von Spalten zerrissen, und in einem dieser Einschnitte steckte das Paket, welches, damit man es nicht sehen solle, mit Steinen zugedeckt gewesen war, welche Kara jetzt weggenommen hatte.
    „War der Pack gut versteckt?“ fragte ich ihn.
    „Nein“, antwortete er. „Der, welcher es hier verbarg, hatte sich fast gar keine Mühe gegeben, dies so zu tun, daß es nicht zu finden war. Die Stelle ist ja ganz gut ausgewählt, denn unter tausend Beduinen wird es wohl kaum einem einfallen, ohne besonderen Grund hier heraufzuklettern; aber das Zudecken mit den Steinen hat man mit sehr wenig Sorgfalt ausgeführt.“
    „Weil die Zeit dazu gefehlt hat, lieber Kara. Nicht der Leichtsinn, sondern die Eile ist schuld daran. Ah, kennst du diesen Sidschdschadi (Gebetsteppich)?“
    „Nein.“
    „So hast du nicht auf ihn geachtet. Mir fiel er wegen seines eigentümlichen Musters auf, welches aus einem Fe und einem verkehrt darüberliegenden Khaf besteht. Dieser Teppich ist El Ghanis Eigentum.“
    „So wäre es dieser Alte, der da herauf geklettert ist?“
    „Wahrscheinlich.“
    „Was mag in dem Pakete stecken?“
    „Ich vermute, daß es die in Meschhed Ali gestohlenen Gegenstände sind. Wir werden nachsehen, müssen aber dafür sorgen, daß es ganz genau wieder so zugebunden wird und zu liegen kommt wie vorher.“
    Die Umschlingung des Teppichs bestand, wie Kara gesagt hatte, in einer Burnusschnur, weil nichts anderes dazu passendes augenblicklich dagewesen war. Wir entfernten sie und öffneten das Paket. Es enthielt über zwanzig Beutel, aus Leder gefertigt und von verschiedener Größe, welche mit goldenen Quasten verziert und mit farbigen, seidenen Schnüren zugebunden waren. An jedem hing ein künstlerisch geschnittenes Elfenbeinblättchen, welches eine Buchstabennummer und die persische Bezeichnung des Inhaltes trug. Das machte den Eindruck des Wertes, des Reichtums. Ich las einige der Aufschriften; sie lauteten:
    „Sih ängust (drei Finger), pänj tschasm (fünf Augen), du bini (zwei Nasen), tschähar dil (vier Herzen), nuh pah (neun Füße), sih zäbahn (drei Zungen), du kahm (zwei Gaumen).“
    Diese Inhaltserklärungen kamen mir keineswegs verwunderlich vor, denn ich kannte den Brauch, der ihm zu Grunde lag. Es kommt nämlich unter den Schiiten besonders bei langwierigen Krankheiten und schwer heilenden Verletzungen sehr häufig vor, daß der Patient an den heiligen Stätten die Hilfe sucht, die er bei den Ärzten nicht gefunden hat. Dies geschieht, wenn es ermöglicht werden kann, durch die persönliche Wanderung nach Meschhed Ali oder Kerbela; im andern Falle sendet man eine Ab- oder Nachbildung des betreffenden Gliedes oder Körperteiles nach einem dieser Orte und dazu ein Geldgeschenk, welches die ‚Heiligen der Stätte‘ veranlassen soll, sich des Absenders im Gebete anzunehmen. Dies ist das letzte und, wie man meint, zugleich sicherste Heilmittel, zu welchem man greift. Der Arme kann es nur zu einer Nachbildung aus Holz, aus Ton, aus Blei, Zinn oder sonst einem billigen Stoff bringen und hat also nur wenig Hoffnung, von Allah geheilt zu werden. Der Reiche ist viel besser daran, weil er die Mittel besitzt, ein wertvolleres Material zu bezahlen. Er wählt Silber, Gold und sogar edle Steine. Auf diese Weise gelangen Kostbarkeiten nach den Pilgerstätten, mit denen man selbst den berühmtesten Arzt nicht honorieren würde. Es kommt vor, daß Fürsten oder sonstige Geldleute wahre Schätze schicken,

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