19 - Am Jenseits
Andersgläubigen begangen wird, in den Augen dieser Beduinen kein entehrendes Verbrechen. Aber wenn er ihnen damit das Recht des jetzigen Besitzes zugestand, so war es ihm nicht erlaubt, ihnen die Sachen vorzuenthalten. Dazu kamen die noch viel berechtigteren Ansprüche des Persers, die wir jedenfalls sehr kräftig unterstützen würden. Der Schiit war feindlich behandelt worden und hatte sogar sterben sollen, weil er die Mekkaner fälschlich angeklagt haben sollte, und nun stellte es sich heraus, daß er recht gehabt hatte. Wie war aus diesen Widersprüchen herauszukommen? Endlich hatte er einen Entschluß gefaßt. Das Paket war geöffnet. Er wog einen der Beutel nach dem andern wie spielend in der Hand und sagte:
„Ich habe diese Sachen hier gefunden, und es ist nun zu entscheiden, wem sie gehören sollen.“
Der Perser wollte schnell und mit Nachdruck antworten; ich winkte aber auch ihm zu, dies nicht zu tun. Der Scheik konnte also fortfahren:
„Wahrscheinlich erheben zwei Parteien Anspruch darauf. Ich werde ihre Rechte genau abwägen und dann die Entscheidung treffen.“
Da wurde er gestört. Es kamen zwei Beni Khalid zurückgeritten. Einer allein hätte sich vor dem ‚Gespenst‘ gefürchtet; darum waren es zwei. Man hatte bemerkt, daß der Scheik fehle, und sie beauftragt, nach ihm zu sehen. Es war ihm anzusehen, daß ihm diese Unterbrechung nicht gelegen kam. Er gab in unwilligem Ton den Bescheid:
„Bin ich ein Kind, welches beaufsichtigt werden muß? Ich habe hier zu tun. Reitet sofort wieder hin, und sagt den Kriegern, daß sie sich nicht um mich kümmern sollen! Ich komme, wenn es mir beliebt, und wenn es erst morgen früh sein sollte. Vorwärts, fort!“
Er hatte dabei den Teppich wieder zusammengeschlagen, so daß die Beutel nicht zu sehen waren. Er schien die Angelegenheit also so handhaben zu wollen, daß seine Leute, falls es ihm gelang, sich in den Besitz der Sachen zu bringen, nichts oder wenigstens nichts genaues darüber erfuhren. Mir aber hätte nichts so erwünscht kommen können, wie der Bescheid, den er diesen beiden Boten gab, denn er hatte dadurch für jetzt und für die ganze Nacht auf den Beistand seiner Krieger verzichtet. Als sie fortgeritten waren, öffnete er den Teppich wieder und sagte, zu El Ghani gewendet:
„Hattest du diese Sachen da oben im Felsen versteckt, oder ist's ein anderer gewesen?“
„Ich selbst habe es getan“, antwortete der Gefragte, dessen finstere, entschlossene Miene die Absicht verriet, auf den Besitz der Gegenstände nicht Verzicht zu leisten.
„Warum verbargst du sie?“
„Aus Vorsicht.“
„Vor mir, vor uns, euren Freunden?“
„Nicht vor euch, denn wir wußten ja gar nicht, wer die Krieger waren, die wir von weitem kommen sahen.“
„Das mag dich entschuldigen. Vor Freunden versteckt man nichts. Wo hast du diese Beutel her?“
„Ich besitze sie schon seit langen Jahren, nämlich seit dem Tode meines Vaters, von dem ich sie geerbt habe.“
„Warum trägst du sie mit dir in der Wüste herum? Solche Dinge läßt man doch daheim!“
„Nein, denn bei mir sind sie sicherer als daheim, wenn ich mich nicht dort befinde. Ich verlange ihre augenblickliche Auslieferung!“
„Warte noch eine kleine Weile! Ich befürchte nämlich, daß sich noch andere Eigentümer melden werden.“
„Allerdings!“ fiel da der Perser ein. „El Ghani hat die Unwahrheit gesagt. Ich brauche das wohl gar nicht zu beweisen, denn seine Lüge ist eine so alberne und ungeschickte, daß derjenige, bei dem sie Glauben fände, geradezu ohne Kopf sein müßte!“
„Willst du etwa behaupten, daß du der rechtmäßige Herr dieser Beutel seist?“
„Nein, das sage ich nicht; aber ich behaupte, daß der ganze Inhalt dieses Teppichs aus dem Kanz el A'da der heiligen Stätte Meschhed Ali gestohlen wurde.“
„Was du behauptest, mußt du auch beweisen können!“
„Ich kann es!“
„So tue es!“
Der Perser nahm aus seinem Gürtel ein Notiztäschchen, öffnete es und erklärte:
„Ich habe sofort, als ich den Verlust bemerkte, ein genaues Verzeichnis der gestohlenen Gegenstände angefertigt. Hier ist es. Ich werde es vorlesen, und du kannst da hören, daß es genau mit den hier an den Beuteln hängenden Inschriften stimmt!“
Er las, und der Scheik verglich das, was er hörte, mit den auf den Elfenbeintäfelchen stehenden Worten. Das eine klang ganz so wie das andere; es war keine Silbe zu wenig oder zu viel.
„Nun? Habe ich recht?“ fragte der
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