1909 - Der Bebenforscher
flimmerte das Abstrahlfeld. Es brauchte jetzt nur noch einen Druck am Abzug.
Automatisch fing er zu reden an. „Ich rufe dich, weiser Gott über den Himmeln, ich sehe dich, und ich fühle dich, in dunkler Nacht so wie am strahlenden Tage ..."
Eismer Störmengord stotterte vor Furcht, doch das schien der Gestalt nichts auszumachen. Der Pirat ließ ihn reden.
Solange er sprach, hoffte Eismer, blieb er am Leben. Als er das Ende der Ode erreicht hatte, fing er einfach wieder von vom an.
Er glaubte fest, daß der andere seinen Betrug nicht bemerken würde. „Schweig!" donnerte der Pirat. „Ich kenne den Anfang!"
Dann zog das riesenhafte Wesen eine Art Kapuze vom Kopf. Darunter kam ein formloser Kopf mit zwei riesengroßen, unterschiedlich gefärbten Augen zum Vorschein. Der Mund war seitlich versetzt. Eismer hätte das Wesen nur mit Mühe von seinem Freund Janthos unterscheiden können. „Himmel!" stieß der Pirat fassungslos aus. „Dieser Zwerg hier spricht Prolongidisch!"
*
Eismer Störmengord fühlte sich mitgezerrt.
Für den Riesen stellte er nur ein kleines, unbedeutendes Zusatzgewicht dar.
Er sah mit an, wie die Kapitänsfrau Ptana und zwei weitere Comurenoffiziere hingerichtet wurden; eine Sache, die der hamaradische Führer des Überfallkommandos persönlich übernahm. Dann kamen die restlichen Passagiere an die Reihe.
Die Ladung des Linienschiffes wurde abtransportiert. In erstaunlichem Tempo wanderten Container durch einen Energietunnel in den Piratenraumer. Man konnte sehen, daß die Piraten Routine besaßen.
Am Ende kam auch Eismer an die Reihe.
Der Prolongide hielt ihn die ganze Zeit fest, von den anderen mißtrauisch beäugt, aber ohne ein Wort der Erklärung.
Der Piratenraumer war eine walzenförmige Konstruktion. Beide Schiffe hingen längsseits nebeneinander. Haltetrossen verhinderten, daß sie auseinanderdriften konnten.
An Bord herrschte permanent gedämpftes Licht, jedenfalls in den wenigen Sektionen, die er zu Gesicht bekam.
In einem leeren Lagerraum versammelten sich zwanzig Prolongiden. Eismer wurde von seinem Lebensretter in ihre Mitte gestoßen.
Die Riesen bildeten einen Kreis und musterten ihn voller Argwohn. „Sag das Gedicht!" wurde er aufgefordert.
Eismer zitierte erneut all das, woran er sich erinnerte. Als er geendet hatte, stand in den Blicken der Piraten Zweifel. „Ausschließlich Prolongiden beherrschen die Sprache", behauptete einer der Riesen. Er artikulierte sich in einem behäbigen, umständlichen Ton. „Alle anderen sprechen Glausching mit uns. Warum nicht dieser Zwerg?"
Ein anderer sagte: „Vielleicht hat ihn ein Gott geschickt."
Die Vermutung löste einen mittleren Tumult aus. „Ach was!" - „Das kann nicht sein!" -„Das ist nur ein Goldner, seht ihr's nicht?"- „Unsinn!" - „He! Goldner sind doch ausgerottet! Es gibt doch gar keine mehr!"
Der Pirat, der Eismer gerettet hatte, hob ihn plötzlich hoch. „Also erklär's uns. Wieso sprichst du die Sprache des Volkes?"
Eismer mußte eine Weile nachdenken, bevor er antworten konnte. Er versuchte, sich seine Worte auf prolongidisch zurechtzulegen. „Ich habe ... auf dem Planeten Jembers ...
Janthos kennengelernt. Er ist ein ..." ihm fiel plötzlich das Wort für „Artgenosse" nicht mehr ein, „... ein Mann aus dem Volk.
Janthos kann sich nicht mehr bewegen. Wir haben oft gesprochen. Er lehrte mich seine Sprache."
Eismer überlegte, ob er die Prolongiden besser belogen hätte. Mit der Version vom Götterboten wäre er möglicherweise weiter gekommen. Doch er sagte sich, daß er eine Lüge auf Dauer nicht durchhalten konnte.
Irgendwann würde er sich verstricken.
Immerhin hatten sie ihn nicht getötet, noch immer nicht, also besaß er hoffentlich auch mit der Wahrheit eine Überlebenschance. „Was geschieht jetzt?" fragte er nach einer Weile, als er es nicht mehr ertragen konnte.
Sein Lebensretter befahl: „Komm her!"
Der Prolongide griff ihn rüde am Arm.
Eismer fühlte sich mitgezerrt, und er hatte nicht den Schimmer einer Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen.
Eine Tür stand plötzlich offen. Der Riese stieß ihn hinein. „Warte hier!" hörte Eismer den Prolongiden sagen. Dann knallte die Tür zu, und es wurde dunkel.
*
Er bekam hin und wieder zu essen und zu trinken, aber das war auch alles. Seine Notdurft verrichtete er in einer Ecke. Wenn er müde war, legte er sich auf den Boden, wobei Vaters Mantel als Kissen diente. Niemand erklärte ihm, was geschehen würde,
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