1913
entsteht in Moskau das erste »Schwarze Quadrat« – die beiden Nullpunkte der modernen Kunst.
1913 führt Malewitsch auf dem Futuristen-Kongress im finnischen Uusikirkko auch den Begriff »Suprematismus« ein, der für ihn der »Beginn einer neuen Zivilisation« ist. Er selbst wirft den Ballast der gegenständlichen Kunst beiseite, unter dessen Bann selbst der Kubismus noch stehe. Er will nach vorne, und da braucht es nichts mehr, keine Wirklichkeit und keine Farben. Im Dezember 1913 präsentiert er auf der Ausstellung »0, 10 « in St. Petersburg 35 seiner neuesten Werke, sein »Suprematistisches Manifest« und eben sein unerhörtes Gemälde: »Schwarzes Quadrat auf weißem Grund«. Das Bild ist eine einzige Provokation und eine Offenbarung. Das Quadrat verkörpert für Malewitsch die »Null-Form«, die Erfahrung der reinen Gegenstandslosigkeit. Und aus dem elementaren Kontrast zwischen Weiß und Schwarz entsteht für ihn eine universelle Energie. Es ist ein Endpunkt der Kunst – und doch zugleich der Ursprung von etwas ganz Neuem. Es ist die Verweigerung aller Ansprüche an den Künstler und an die Kunst – und genau damit eine der größten Selbstbehauptungen der künstlerischen Autonomie. Man sollte immer auch an das »Schwarze Quadrat« denken, wenn man an das Jahr 1913 denkt.
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Das zweite Meisterwerk, das das Jahr 1913 prägt, ist vierhundert Jahre alt, gemalt auf eine 77 mal 53 Zentimeter große Holztafel aus lombardischer Weißpappel. Die »Mona Lisa« von Leonardo da Vinci. Seit sie vor zwei Jahren aus dem Louvre gestohlen wurde, fehlte von ihr jede Spur.
Doch Anfang Dezember bekommt der Florentiner Kunsthändler Alfredo Geri einen Brief. Der wohlbeleibte Herr, breitschultrig und gesellig, versorgt mit seinem Antiquitätenladen in der Via Borgo Ognissanti die Florentiner Oberschicht. Auch Eleonora Duse, die Duse genannt, und ihr Geliebter Gabriele d`Annunzio gehören zu seinen Kunden. Der Brief, den er in Händen hält, verstört ihn. Ist das die Wahrheit oder der Brief eines Wahnsinnigen? Er liest noch einmal: »Das gestohlene Werk von Leonardo da Vinci befindet sich in meinem Besitz. Es gehört offensichtlich Italien, da der Maler Italiener war. Mein ist es, dieses Meisterwerk dem Land zurückzugeben, aus dem es kam und von dem es inspiriert ist. Leonardo.«
Es gelingt Geri dann, brieflich mit dem ominösen Absender »Leonardo« für den 22 . Dezember einen Treffpunkt in Mailand zu vereinbaren. Als Geri aber am 10 . Dezember um halb acht abends seinen Laden abschließen will, stellt sich ein Herr vor, der sich zuvor unter die letzten Besucher gemischt hat: »Mein Name ist Leonardo.« Geri schaut den Mann entgeistert an: Er hat einen dunklen Teint, pomadige schwarze Haare, insgesamt wirkt er etwas ölig mit seinem gezwirbelten kleinen Schnauzer. Er sei, so sagt der Mann, nun doch schon etwas früher gekommen und unter dem Namen »Leonardo Vincenzo« im Albergo Tripoli-Italia in der Via Panzani abgestiegen. Also nur einen Häuserblock entfernt von Borgo San Lorenzo, an dem vierhundert Jahre zuvor Lisa del Giocondo für Leonardo Modell gesessen habe.
Am nächsten Tag um 15 Uhr, sagt Leonardo, könne Signore Geri sich in der Pension die »Mona Lisa« anschauen. Geri alarmiert den Direktor der Uffizien, Giovanni Poggi, und zu dritt gehen sie vom Antiquitätenladen hinüber in die schäbige Pension. Geri und Leonardo einigen sich beim Gang durch die Straßen darauf, dass er 500 000 Lire erhalte, falls das Bild echt sei. Das sei nett, sagt Leonardo, aber ihm gehe es gar nicht ums Geld, er wolle nur Italien seinen geraubten Kunstschatz zurückbringen. Poggi und Geri schauen sich irritiert an.
Die Herren steigen dann im Albergo Tripoli-Italia die steile Treppe hinauf, im zweiten Stock liegt Leonardos armseliges Einzelzimmer. Er holt einen Koffer unter dem Bett hervor, wirft den gesamten Inhalt mit Unterwäsche, Werkzeugen und seinem Rasierzeug aufs Bett. Dann öffnet er einen doppelten Boden in seinem Koffer und hält ein in rote Seide geschlagenes Brett in der Hand: »Vor unseren Augen erschien die göttliche Gioconda, unversehrt und wunderbar erhalten. Wir trugen sie ans Fenster, um sie mit einer mitgebrachten Fotografie zu vergleichen. Poggi untersuchte sie«, so erzählt der Händler Geri später. Es gibt keinen Zweifel, auf der Rückseite trägt sie die Inventarnummer des Louvre. Aber trotz ihrer Erregung behalten Geri und Poggi die Nerven – sie sagen Leonardo, möglicherweise sei sein Bild
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