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1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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unserer Angriffe auf Saris – zwei hatten wir verpatzt, oder vielleicht war das in Bet Iksa oder in einem anderen Dorf, ich weiß nicht mehr, wo genau – hatte man uns in bergigem, versengtem Gelände alleingelassen. Alle schliefen, außer uns beiden. Iska der Partisan saß da und stieß einen kurzen Jauchzer aus, als wäre er ein Tier. Ich ging zu ihm, und er gab mir eine Zigarette Marke Standard Special, die damals schwer zu kriegen war, und versuchte mir etwas zu erklären. Ich verstand nicht alles, trotz seiner ausdrucksstarken Gesten. Jiddisch konnte er nicht, ich nur sehr wenig, und ich bin auch nicht sicher, ob er überhaupt Jude war – nicht dass mir das wichtig gewesen wäre. Ich entnahm seinen Berichten, dass er als junger Bursche in Stalingrad gekämpft hatte. Dort habe der heftigste Krieg aller Zeiten gewütet, Tausende seien dabei umgekommen, erzählte er, und einmal habe er einen Deutschen erschlagen. Er sagte wohl auch, er habe gehungert, und es sei kalt gewesen und er liebe (beim Reden malte er mit einem dünnen Zweig ein Herz in den Sand) unseren Krieg, denn die Juden hätten einen Staat verdient, weil in Stalingrad viele Juden gekämpft hätten und gefallen seien, ohne dafür je eine Auszeichnung erhalten zu haben. Und nach den Gefechten habe man sie angegriffen und ermordet, weil sie Juden waren, und sein Großvater sei ein frommer Jude in Sibirien gewesen, und was wir hier täten, sei gut und richtig, gleiche aber einem Krieg von Kindern gegen Kinder, gegen Araber, die schrien und metzelten, aber bei der ersten Kugel wegliefen. Noch nie habe er schlechtere Soldaten gesehen, sagte er mir, ausgenommen die Jordanier, die hervorragende Soldaten seien. Aber die Araber seien viele, und sie hätten Waffen, und er töte so viele von ihnen, wie er nur könne, denn wenn er das nicht täte, »bekämt ihr hier keinen Staat«.Vielleicht sagte er, »bekämen wir keinen Staat«, aber da bin ich nicht sicher.
    Er sang leise ein russisches Lied, das ich immer für ein hebräisches gehalten hatte, umarmte mich fest und sagte: Dass wir’s bloß schaffen. Man muss ordentlich kämpfen. Ihr seid ein bisschen komisch, wollt auch noch Moral. Im Krieg gibt’s keine Moral, erklärte er in etwas holprigem Hebräisch, das ich heute schwer nachbilden kann, aber ich verstand ihn. Seine Worte waren an meine Adresse gerichtet, weil ich immer einen Wirbel darum machte, was man dürfe und was nicht. Er sagte, er habe früher mal Philosophiebücher gelesen und wisse, dass Moral was für Professoren sei. Jedes Tier töte ein anderes, jeder Mensch kämpfe um sein Leben und töte, wenn er leben wolle. Einen moralischen Krieg gäbe es nicht. Wartest du etwa, bis jemand dich abknallt oder was? Schießt erst dann auf ihn? Einer wie du, der beim Haschomer Hazair war und dann verwundet dalag, hat gesagt, man müsse gerecht sein, aber auch böse. Ohne Bösewichte gibt’s keinen Krieg, sprach Iska der Partisan, kaute an einem Stück Zuckerrohr und lachte. Er hatte ein schönes, klares, kluges und offenes Lachen, und manchmal schlief er auch mitten beim Lachen ein.
    Tagsüber versuchten wir zu schlafen. Es gab weder Wasser noch Verpflegung, und wenn wir, vor oder nach Gefechten, in Jerusalem waren, sahen wir uns den einzigen Film an, der in der Stadt lief, »Fiesta« hieß er. Der Inhaber des einzigen noch offenen Kinos hatte einen Generator. Er liebte Kino heiß und innig, und es hieß, er würde für einen einzigen neuen Film Frau und Kinder verkaufen, aber es gab keine Filme, die waren ausgegangen, er hatte nur noch diesen einen Streifen über die Fiesta in Mexiko, mit Esther Williams und Ricardo Montalban. Jeden Tagsah er ihn sich an, und wenn jemand im Dunkeln hereinkam, rief er, Schalom, Freunde, das macht zwei Mil für den Jüdischen Nationalfonds, und guckte weiter. Ricardo, im silbrigen Anzug, sang auf Spanisch, das ich für Mexikanisch hielt, und die blonde Estherke mit der tollen Figur sprang in einen Pool voll junger Mädchen in glitzernden Badeanzügen, die wie Fische aussahen, und das Wasser spritzte in herrlichem Technicolor, während wir mit dem Inhaber im Dunkeln saßen und gemeinsam den Filmsong sangen. Iska lernte von uns, ihn mitzusingen, und dachte vielleicht, er sei auf Hebräisch.
    Ich erinnere mich gut, dass ich apathisch wurde. Ich wartete auf den Tod, um ein bisschen auszuruhen. So müde war ich. Mir fielen die Mönche im Trappistenkloster Latrun ein, zu denen mein Vater mich manchmal mitnahm, wenn er mit ihnen

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