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1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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alle waren aufgeregt,weil sie sie verbrennen sehen wollten. Ich mochte Schimon Rudis Muskelspiele und Kraftakte und die jungen Mädchen, die er in die Luft warf, und dachte mir damals, er sei ein Weiser für sich und tue das gegen alle. Ein Mensch, der für sich wohnt in seinen Muskeln. Es interessierte mich nicht, dass Onkel Alex das alles als Augenwischerei abtat. Für mich blieb es wahr, auch wenn es auf Lug und Trug beruhte. Genauso wie es mich nicht scherte, wenn meine Freunde behaupteten, die Brüder Salman und Kalman seien gar nicht verrückt, sondern wollten nur Geld machen, ohne zu arbeiten. Das war für mich auch schon was – so in der Hitze auf der Ben-Jehuda-Straße zu liegen und Fratzen zu ziehen, um ein paar Groschen zu kriegen. Ich fand, das war keine geringere Pioniertat als das Arbeitsbataillon von Nathan dem Wilden, dem großen Liebling meiner Mutter, der an der Straße nach Zemach am Kinneret Steine geklopft hatte.
    Am nächsten Morgen erwartete mich Ari-Name-geändert vor der Silikat-Fabrik. Wir gingen zur Bograshov-Straße, er entwendete ein Auto, und wir fuhren nach Hadera. Wir ließen den Wagen auf dem bewussten Platz stehen, gingen zurück nach Sdot Yam und hatten kaum die Kleidung gewechselt, da wurden wir auch schon zum Einsatz gerufen.

10
    Später, schon mitten im Krieg, erschien in Kirjat Anavim ein großer blonder junger Mann mit hellblauen Augen, durch die man die Ostsee sehen konnte – nicht dass ich die Ostsee je gesehen hätte, ich kannte gerade noch den Tel Aviver Frischmann-Strand. Er sagte, er habe auf dem Schiff und im Übergangslager Hebräisch gelernt, und nun sei er zu uns gestoßen. Ich habe keine Ahnung, wie er den Belagerungsring durchbrochen hatte. Ich war erst kurz zuvor mit den übrigen Überlebenden in einen anderen Zug verlegt worden. Als zwei der Zeltbewohner umkamen, gab man ihm ihre Kleidung, denn seine war zerschlissen. Vom ersten Moment an fühlte ich mich ihm verwandt. Wir wussten von ihm nur, dass er ein Partisan gewesen war und Iska hieß, Iska der Partisan. Er hatte slawische Gesichtszüge, wie wir sie aus dem russischen Film »Es blinkt ein einsam Segel« kannten, ein klasse Film übrigens. Ich sang ihm die Titelmelodie vor. Iska erhielt ein altes österreichisches Maschinengewehr vom Typ Schwarzlose, weil er gut schießen konnte, und noch einer, dessen Name mir entfallen ist, ein Holocaustüberlebender, der sich zu uns durchgeschlagen hatte und gleich die Woche darauf in Saris fiel, bekam ein MG. Ihm hatte man, wenn ich mich recht entsinne, die Browning gegeben, denn auch er war ein Fachmann im Töten, noch aus Russland, so hieß es zumindest.
    Vorm Speisesaal standen Iska und ich gemeinsam an,mit den kleinen Zetteln, die man bei Schika an der Tür abgeben musste. Ich brachte ihm bei, aus Malvenkraut, Weinblättern, Semmelbröseln und irgendwelchen Kräutern, deren Namen ich vergessen habe, Salat zu machen. Schika, die die englischen und amerikanischen Kämpfer im Krieg als die englischen beziehungsweise amerikanischen Streitkräfte bezeichnete, die Russen aber immer als »unsere Truppen«, redete Iska hochachtungsvoll mit »Genosse Partisan« an.
    Als wir eines Tages zusammen unterwegs waren, spürte ich plötzlich ein Brennen. Ich blickte mich um und entdeckte ein Loch in der Hose und dann noch eines, und im selben Moment besah auch Iska sich seine Hose und sagte etwas in dem hebräisch-russisch-deutschen Kauderwelsch, in dem wir uns unterhielten, genau kann ich mich nicht mehr erinnern, aber es war so was wie: Kugel ist in Ärsche gekommen. Eine fremde, feindliche, blöde Kugel war uns in die Gesäßbacken gefahren, von einer Hose in die andere gewechselt und wieder ausgetreten, hatte aber außer dem Brennen und den Löchern in den Hosen kein Zeichen hinterlassen. Wir lachten, und er sagte, wir seien Kameraden vom Arsch her.
    Er war kühn und ruhig und kämpfte so, wie die polnischen Reiter gekämpft haben sollen, was man Jahre später »exponiert im Geschützturm« nannte, bloß hatten wir damals keinen Turm, in dem wir hätten exponiert sein können. Es war 1948, die Zeit des Kinderkreuzzugs.
    Morgens nach den Gefechten teilten wir die Kleidung der Toten unter uns auf. Abends war es kühl, und Iska sang russische Lieder. Im Kampf schoss er aus dem Stand. Er sagte, im Stehen würde er den Feind besser sehen. Er hatte keine Angst und ballerte wohl auch gern. Er liebte Kriege. Wenn er ins Gefecht geriet, strahlte er und sprach russischund sang. Bei einem

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