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1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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komische Zeit. Ich erhielt eine Reihe von Behandlungen in der Poliklinik, hörte Musik, humpelte in der Stadt herum und suchte Kameraden, von denen die meisten tot waren. Ein Kamerad veranstaltete eine Geburtstagsfeier, und ich kletterte auf den Tisch und schwang eine grauenhafte und hässliche Rede, eine schäumende Tirade gegen alles. Ich war, was man damals »für dagegen« nannte, und als ich endete, merkte ich, dass ich allein dastand, alle anderen hatten das Weite gesucht, und als der Hausherr hereinkam, fing ich bitterlich an zu weinen.
    Ein paar Tage später stoppte mich auf der Herzl-Straße einer, der sich als Feldjäger bezeichnete – so was hatte ich noch nie gehört. Ein weiterer junger Mann kam dazu, und da wir keine Wehrpässe dabeihatten, nahm der Feldjäger uns fest. Zufällig kam auch ein Polizeioffizier vorüber, der die Verhaftung miterlebte, mein schallendes Gelächter hörte und den Feldjäger, der wie eine lächerliche Mickymaus aussah, in Augenschein nahm. Der Polizist hatte uns vom Krieg in Erinnerung. Er befreite uns und meinte, wir sollten eine Behörde Ecke Allenby-Straße / Herbert-Samuel-Ufer aufsuchen, die sich »Amt für die Betreuung von Soldaten, die ihre Einheit unverschuldet verlassen haben« nannte.
    Auf dem Amt herrschte Gedränge. Alle suchten selbst ihre zerfledderten Akten. Ich fand meine sofort. Als ich an die Reihe kam, sah ein junger Mann, der gerade erst eingezogenworden war, meine Papiere durch und sagte: Ich muss dich zur Armee einberufen. Ich sagte, zu welcher Armee? Er sagte, zur Zahal. Ich fragte, ist das unsere Armee? Ja, sagte er. Ich sagte, es wird ja auch Zeit für den Treueeid auf den Staat Israel, den ich noch gar nicht kenne. Und tatsächlich musste ich ein Gelöbnis für die Armee ablegen, in der ich nicht mehr dienen würde. Gleich nach der Vereidigung entließ er mich, und ich erhielt eine Bescheinigung, dass ich Soldat gewesen war. So war ich binnen einer halben Stunde eingezogen und entlassen worden, und das gefiel mir.
    Ich sagte dem Mann, es sei richtig nett, aus einer Armee entlassen zu werden, in der ich nie gedient hatte, aber ich sei in ihrer Vorgängerin gewesen. Er erhob sich mitten in dem großen Raum, voll mit Soldaten und anderen jungen Leuten, die ohne Ausweis auf der Straße aufgegriffen worden waren, und salutierte mir. Das war komisch, aber bewegend. Ich wollte seinen militärischen Gruß erwidern, wusste aber nicht, wie man das macht. Er übergab mir sechs Pfund als nachträgliche Bezahlung, ich unterschrieb, dass ich entlassen worden war und den Sold für sechs Monate erhalten hatte, und ging zurück zum Mughrabi-Platz. Der Würstchenverkäufer dort erkannte mich wieder, und ich musste ihm natürlich erneut versichern, dass Goethe größer sei als Shakespeare, doch er hatte die Antwort nach all den Jahren abgewandelt und sagte, auch Schiller sei größer. Ich erwiderte, dass ich mich ohnehin auf ihn verlasse.
    Ich ging ins Café Pilz, traf Freunde. Wir tranken Spitfires und sangen mit Menaschke Baharav das blöde Lied, das damals ein großer Schlager war, »In den Steppen des Negev«. Er spielte Akkordeon, und ich besoff mich. Es war das erste Mal, dass ich Brandy trank, statt mich nurdamit zu waschen, abgesehen von dem einen Mal, als ich unter der eisernen Hand von Eskimo, dem Oberstleutnant für Schlagkraft, lag, der mich mit einer Flasche Cognac im Mund betäuben wollte. Spontan stand ich auf und sang ein Lied, und trotz meines schmerzenden Gipsbeins war ich wohl einen Moment glücklich.
    Ich habe wenig in Erinnerung. Und es ist auch nicht so wichtig, was wirklich war. Wir waren ein verlorener Haufen Soldaten, zogen durch die Stadt, saßen vormittags im Café Nussbaum an der alten Strandpromenade und hörten uns immer wieder Beethovens Siebte an. Wir waren desorientiert. Träumten davon, nach Brasilien zu fahren, um den Amazonas trockenzulegen, aber es gab kein Schiff, das uns hingebracht hätte. Wir hatten die süßeste Nutte des Landes, Buba, dabei. Buba hatte mal von den Eisenstreben auf der Promenadenmauer einen blonden Mann nackt auf dem Rücken am Strand liegen sehen, war zu ihm hingegangen und, nachdem sie ihn untersucht hatte, mit dem Befund zurückgekehrt: »Er ist nicht von hier.« Und wenn sie einen jungen Mann Liegestütze machen sah, rief sie ihm zu: »Hey, wo ist denn deine Hübsche unter dir?« Sie war berühmt.
    Und ein armseliger Typ mit Uhren an beiden Armen und Goldzähnen und Zigaretten Marke Player’s kam vorüber

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