1966 - Der Schattenbruder
künstliche Art und Weise abbauen müssen?
Oder einer, der in weiten Teilen einer Galaxis nur herrscht, weil große Teile der Bevölkerung annehmen, sie würden von einer göttlichen Kraft durchleuchtet, obwohl es sich dabei nur um ein technisches Phänomen handelt, das ursprünglich ganz anderen Zwecken diente? Oder einer, den ein Wesen, das mit der Macht seiner Träume alle anderen der Galaxis. unterjochen kann, als seine Vorstellung von ureigener Ordnung durchsetzt?" Bevor Mhogena antworten konnte, fügte Phisagon noch etwas hinzu. „Oder ein Frieden", sagte er, „der letzten Endes nur entstanden ist, weil ein Volk über die ganz besondere Fähigkeit verfügt, die Aggressionen aller anderen Wesen auf sie zurückzuwerfen?"„Damit spielst du auf uns Gharrer an", sagte Mhogena. Sein Gegenüber antwortete nicht. „Nun", fuhr Mhogena fort, „Frieden ist zuerst einmal ein Zustand innerer oder äußerer, individueller oder sozialer Konfliktlosigkeit und Ausgeglichenheit. Im übergeordneten Sinn, etwa unter den Brudervölkern von Chearth, ist damit ein Zustand ungebrochener Rechtsordnung und Gewaltlosigkeit gemeint, in dem beim Ausgleich bestehender Interessengegensätze auf die Anwendung von Gewalt verzichtet wird."
„Aber ist die Geschichte des Friedens nicht gleichzeitig die Geschichte des Krieges?" warf ein anderer Meister ein. „In manchen Kulturen ist Frieden negativ bestimmt als Gegensatz zum Krieg. Heißt es nicht sogar: Der Krieg ist der Vater aller Dinge?"
„Diese Entwicklungsstufe haben wir längst überwunden. Wir haben erkannt, dass es keinen gerechten Krieg gibt."
„Aber was ist mit den Beispielen, mit den vier Formen des Friedens, die wir genannt haben?" Mhogena zögerte kurz. „Keiner dieser Friedenszustände scheint aus sich selbst heraus erwachsen zu sein. Alle wurden erzwungen. Wenn jemand in die Geschicke anderer Völker eingreift, um Frieden zu schaffen, manipuliert er die Unterlegenen, so ehrenvoll seine Absichten auch sein mögen. Wenn eine überlegene Spezies Frieden mit Gewalt durchsetzt, unterdrückt sie alle anderen, und das gilt erst recht für ein Wesen, das alle anderen in seinen ureigenen Traum zwingt. Auch der Frieden in Chearth ist erzwungen, da wir aufgrund unserer psionischen Kräfte unangreifbar sind. Aber ..."
„Aber ist selbst ein erzwungener Frieden nicht wünschenswerter als das unsägliche Leid, das ein Krieg heraufbeschwören würde?" warf Phisagon ein. „Sollte man nicht lieber Unterdrückung und Unfreiheit in Kauf nehmen als auch nur den Tod eines einzigen Lebewesens bei einem aufgezwungenen Konflikt?" Mhogena dachte lange über die Antwort nach. Schließlich griff er zu Boden, nahm eine Handvoll Sand auf und ließ ihn durch die knochenlosen Finger rinnen. „Frieden ist wie Sand. Mannigfaltig in seiner Konsistenz, wechselhaft in seiner Ausprägung. Sein Zustand ist ständigen Änderungen unterworfen.
Auch wenn der Sand in diesem Raum für uns noch genauso auszusehen scheint wie zu Beginn des Philosophikums, hat er sich grundlegend verändert, nicht nur auf molekularer Ebene. Jeder Luftzug, jede unserer Bewegungen trägt zu seiner Umformung bei. Frieden ist kein gleichförmiger Zustand, sondern vielfachen Veränderungen unterworfen. Daher gibt es auch keine grundlegend gültige Antwort auf deine Frage. Ich glaube ..., die Qualität freiwilligen oder auch erzwungenen Friedens ist stets von der moralischen Beschaffenheit jener abhängig, die ihn zu verwirklichen versuchen. Erst wenn man in sich Frieden gefunden hat, kann man ihn an andere weitergeben. Man muss Frieden täglich neu vorleben und selbst erfahren, um ihn vermitteln zu können."
Der Mhogena bislang unbekannte Meister des Sandes, der zuerst das Wort an ihn gerichtet hatte, erhob sich. „Ich heiße Botagho, und dieser Kreis der Meister hat mich zu seinem Sprecher gewählt. Dein Mentor Phisagon hat große Exwartungen in dich gesetzt, und sie wurden nicht enttäuscht. Noch nie wurde ein Gharrer mit lediglich zwanzig Jahren zum Protektor ernannt, und noch nie in der Geschichte unseres Volkes wurde bei einer großen Vereinigung, die ein bloßer Protektor vollzog, ein psionischer Schirm errichtet, der nicht nur einen Planeten, sondern das gesamte Sonnensystem umschloss.
Daher kann ich vor mir und allen anderen Meistern des Sandes rechtfertigen, dass du in unseren Kreis aufgenommen wirst, obwohl du erst fünfundzwanzig Jahre zählst. Deine Weisheit ist deinem physischen Alter weit voraus. Doch du stehst
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