1969 - Grausame Götter
schmerzlicher Erinnerung, als die Zuneigung zu seinem totgeborenen Bruder geweckt wurde. „Doch ich musste einsehen, dass ich einer Art von Irrglauben anhing. Offensichtlich habe ich mir das alles nur eingeredet."
„Aberglaube, wolltest wohl sagen", korrigierte Vil an Desch. „Aber eines solchen wollte ich dich gar nicht bezichtigen. Ich will auf etwas anderes hinaus. Die Cameloter sind überaus großzügig, wenn es um Informationen über die Geschichte der Milchstraße geht. Und so habe ich erfahren, dass ein Teil des Volkes der Maahks in Andromeda, von dem ihr Gharrer abstammt, eine seltsame Entwicklung eingeschlagen hat. Sie werden Schattenmaahks genannt, und es ist eine erwiesene Tatsache - und keineswegs Aberglaube -, dass sie mit ihren Toten in Kontakt treten können. Ich will gar nicht hören, dass es für solche Vorgänge besonderer Voraussetzungen bedarf. Ich sage nur, dass die Schattenmaahks die Stimmen ihrer Toten hören können und du, Millionen Lichtjahre entfernt und ohne Vorkenntnisse dieser Ereignisse, versucht hast, die Stimme deines totgeborenen Bruders zu hören."
Vil an Desch verstummte bedeutungsvoll. Aber im Geiste hörte Mhogena den unausgesprochenen Nachsatz, den er mit seinem Schweigen vermitteln wollte: Es gibt Parallelen und Zusammenhänge, die man rational nicht erklären kann. Dafür hat man den Begriff Zufall erfunden. „Jedenfalls bin ich dir dafür zu Dank verpflichtet, Mhogena" ,hörte der Fünfte Bote den Scoctoren heiter sagen, wohl auch, um ihrer vorangegangenen Diskussion die Schärfe zu nehmen, „dass du nicht versucht hast, mir mit deinen psireflektorischen Fähigkeiten meinen Glauben zu nehmen."
Vil an Desch hatte kaum ausgesprochen, als auf der MERLIN Alarm gegeben wurde.
6.
Tuyula Azyk war in großer Sorge um Vincent Garron. Sie fürchtete, dass er nicht mehr zu ihr zurückfinden könnte. Schon bei seinem letzten Besuch auf der MERLIN hatte er sehr schwach gewirkt. Aber nicht nur das er schien auch in zunehmendem Maße der Realität entfremdet. Dr. Mangana hatte das jedenfalls so aufgedrückt: „Garron verliert immer mehr den Bezug zur Realität." Tuyula hätte das nicht so sachlich formuliert, aber sie stimmte zu. Auch wenn sich Garron äußerlich nicht weiter veränderte - er sah schlimm genug aus, aber Tuyula bemerkte das gar nicht mehr - und seine Verunstaltungen nicht schlimmer geworden waren, so wandelte er sich permanent auf psychischer und parapsychischer Ebene. Und er litt immer stärker unter seiner Achromatopsie, seiner völligen Farbenblindheit.
War es da ein Wunder, dass ihn der Sonnentresor wie magisch anzog, diese mächtige Ballung aus 61 Sonnen, in der er die Farben wiederentdeckt hatte? Das Irgendwo der Farben, von dem er selbst nicht sagen konnte, wo es lag, wurde für ihn zum Fluchtpunkt seiner Sehnsüchte. Zu seinem Elysium. Seine Achromatopsie traf Vince um so härter, da er die Welt der Farben aus der Zeit vor seinem Unfall kannte. Seine an dauernde Achromatopsie war nicht angeboren, sie war auch nicht auf eine Augenschädigung zurückzuführen, vor jenem schrecklichen Tag auf der Station LYRA hatte er nur gelegentlich darunter gelitten. Vince trug wohl ein ursprünglich inaktives Gen in sich, das Achromatopsie hervorrief. Durch seinen Unfall war dieses gewissermaßen eingeschaltet geworden ... und noch Schlimmeres.
Das alles war nicht Tuyulas Sprache, sie dachte in den Begriffen, die Dr. Mangana verwendete, der sich gerne als Spezialisten für Vincent Garron bezeichnete. Vincent hatte seit zehn Tagen kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben. Tuyula befürchtete das Schlimmste. Sie musste fortwährend an ihn denken. Daran, dass er immer schwächer wurde, die bewusste Handhabung seiner Para-Fähigkeiten verlor und überhaupt seinen Orientierungssinn allmählich einbüßte.
Tuyulas Denken konzentrierte sich vor allem deswegen auf Vince, weil er eine starke Affinität zu ihr hatte, das musste sogar Dr. Mangana bestätigen.
Tuyula war schon immer, seit er aus dem Koma erwacht war, ein starker Bezugspunkt für den Mutanten gewesen. Und sie hoffte, dass er, wo immer er auch war, die Verbindung zu ihr wiederfand, wenn sie nur stark an ihn dachte. Aber bis jetzt ohne Erfolg. Hatte er wirklich nicht mehr die Kraft, aus seinem farbenprächtigen Elysium zurückzufinden? War er für immer zwischen den Dimensionen verschollen? Sie malte sich aus, wie er in einer seiner Hypersenken gefangen war und nicht mehr die Kraft hatte, sie verlassen oder
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