1971 - Rätselhaftes Sarkamanth
ihnen rund 100.000 Menschen aufnehmen konnte. Dazu waren gewaltige Anstrengungen nötig, die nicht in einigen Tagen zu bewältigen waren. Selbst wenn es keine unliebsamen Zwischenfälle und keine Störungen gab, nahmen die Arbeiten einige Wochen in Anspruch. Dabei mussten wir mit äußerster Vorsicht und Umsicht vorgehen, denn der Flug in die Nachbargalaxis würde viel Zeit in Anspruch nehmen. Er war zudem mit hohen Belastungen für die nach wie vor fremden Raumschiffe verbunden. Pannen konnten wir uns nicht erlauben.
Unser aller Schicksal hing an einem vergleichsweise seidenen Faden. Ich spürte, wie es mir eiskalt über den Rücken kroch. Die Menschen würden es schwer haben in der Zeit bis zum Start der Raumer. Sie mussten ständig mit der Gefahr eines plötzlich über sie hereinbrechenden Kesselbebens rechnen und mit einem schlagartigen Ende aller ihrer Hoffnungen. Gia de Moleon hatte recht: Unter diesen Umständen waren die Fremden von Sarkamanth unwichtig. Sollten sie doch in ihrem seltsamen Turm hocken und uns zusehen! Solange sie sich nicht einmischten, sollten sie uns egal sein.
Vanessa Sossek hatte lange gebraucht, um zu begreifen, warum es so schwierig gewesen war, die Korrago-Raumer zu bergen. Nun sah sie sich mit der Technik eines solchen Raumschiffs konfrontiert, und sie erfasste, wie fremdartig sie letztlich doch war. Technik ist Logik, war bisher stets ihr Motto gewesen, und danach war sie vorgegangen, wenn es irgendein Problem aus ihrem Wissensbereich zu bewältigen gegeben hatte. War es schwierig gewesen zu verstehen, weshalb irgend etwas auf diese oder jene Weise funktionierte, dann hatte sie mit ihrer Arbeit stets begonnen, indem sie die Basis oder den Kern einer technischen Einrichtung analysiert hatte. Früher oder später war sie zwangsläufig darauf gekommen, wo Eingriffe notwendig waren.
Bei der Korrago-Technik war es anders. Viele der Schaltungen folgten nicht jener Logik, nach deren Gesetzen sie bisher gedacht hatte, sondern schienen aus ihrer Sicht unlogisch und widersprüchlich zu sein. Das betraf selbst einfachste Dinge. „Wir mögen nicht mehr spielen", maulte Anja, nachdem sie und ihr Bruder sich über zwei Stunden lang selbst beschäftigt hatten. „Was machst du eigentlich, Mama?" fragte Bogan. Verständnislos blickte er auf die vielen Schaltungen, die sie freigelegt hatte, nachdem sie einen Teil der Verkleidung einer syntronikähnlichen Schaltung entfernt hatte. „Ich versuche zu verstehen", antwortete sie, „aber es will mir nicht gelingen." Sie deutete auf eine Platine, zu der eine Reihe von farbigen Lichtstrahlen hinführten, die auf diese Weise für den nötigen Informationsfluss sorgten. „Ich habe das alles geprüft. Es gibt unterschiedliche Frequenzen und Spannungen. Sie sorgen für Störungen, so dass die Schaltungen nicht einwandfrei funktionieren. Ich finde jedoch nicht heraus, woran das liegt." Bogan krauste die Stirn und betrachtete das Gewirr der Lichtstrahlen, von denen das Innere der Schalttafel buchstäblich bis in den letzten Winkel gefüllt war.
Vanessa legte lachend den Arm um seine Schultern. „Es wird noch viele, viele Jahre dauern bis du dir einen Reim auf diese Technik machen kannst", sagte sie. „Du weißt ja noch nicht einmal, welche Bedeutung die einzelnen Farben haben."
„Und ich mag sie nicht, so, wie sie sind", entgegnete er. „Ich auch nicht", stimmte seine Schwester ihm zu. „Und wieso nicht?" fragte Vanessa belustigt. „Die Farben passen nicht zueinander", erläuterte er. „Sie müssten mehr so sein wie ein Regenbogen."
„Genau!" rief Anja. „Dann gefielen sie mir besser!" Die beiden Kinder wandten sich ab und kehrten zu ihrem Spielzeug zurück. Ihre Mutter blieb an der Schalttafel stehen und griff sich fassungslos an den Kopf. An alles Mögliche hatte sie gedacht. Die kompliziertesten Berechnungen hatte sie angestellt und jede nur denkbare technische Komplikation einkalkuliert. Sie war jedoch nicht ein einziges Mal auf den Gedanken gekommen, dass die farbliche Abstimmung das Geheimnis oder doch ein Teil des Geheimnisses sein konnte.
Kinderaugen sehen so etwas ganz anders, dachte sie.
Sie spürte, dass Bogan und Anja recht hatten, und sie nahm einige kleine Veränderungen bei den Einstellungen vor, korrigierte auf diese Weise die Farben der Lichtstrahlen. Plötzlich stellte sich die angestrebte Harmonie ein. Die Schalttafel reagierte, und sie begann sich zu beleben. Genau in diesem Moment schrien die beiden Kinder entsetzt auf.
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