1980 Die Ibiza-Spur (SM)
gibt. Die Demokratie versucht, Rechte und Pflichten auf einen für alle akzeptablen Nenner zu bringen. Perfekt ist das nie, kann es nicht sein. Immer gibt es links und rechts die Unzufriedenen, doch sie sollten nicht nach den Waffen greifen. Das disqualifiziert sie. Sie mögen durchaus Argumente haben, aber Mord darf nicht das Mittel sein, mit dem man sich Gehör verschafft.«
Victor machte eine Pause, leerte sein Glas. Klaus schenkte nach. Als er die Flasche abgesetzt hatte, warf er einen Blick durchs Bullauge. Draußen sah er die Beine eines der beiden Posten. »Und jetzt bist du schon wieder ein Gefangener«, sagte er.
»Halb so schlimm«, antwortete Victor. »Ich hab’ ja jetzt keine Todesangst. Im Stollen hatte ich sie. Und jedesmal, wenn sie mich im Auto zu Hentschel brachten, dachte ich: Jetzt ist es so weit! Das Rechnen mit dem Tod war das Schlimmste. Dieses Gefühl, du bist erst vierzig und gesund und könntest noch so viele schöne Dinge tun, aber sie legen dich irgendwann um. Und das hast du verhindert! Wie hast du’s angepackt?«
Klaus berichtete von dem Brief, den die Mutter ihm nach Port of Spain geschrieben hatte, von seinem Nachhausekommen, von den Zweifeln am brüsken Abschied des Sohnes und Bruders. Und vom »Malte«.
»Wenn Renate wüßte«, sagte Victor, »daß sie mitgeholfen hat, mich da herauszuholen! Hätte ich mich damals nicht in sie verliebt, wäre Rilke nie zum Briefträger geworden, damals nicht und also jetzt auch nicht, und wir hätten keine Chance gehabt, Hentschel auszutricksen. Also sei dem schönen Kind verziehen, daß es so treulos war!« Er lachte und hob sein Glas, trank.
»Da wir gerade dabei sind«, sagte Klaus, »bei deinen Frauen und beim Verzeihen. Könntest du auch anderen verzeihen, wenn sie dir nicht treu waren? Christiane zum Beispiel?«
»Hat sie einen neuen Partner?«
Klaus wiegte den Kopf. »Sie hatte einen Reisegefährten. Einen Mann, der in den Süden fuhr und sie mitnahm.« »Süden ist Versuchung.«
»Auf eine Insel.«
»Inseln haben schon immer die Sinne beflügelt, und warum sollte das bei meinem Bruder anders sein?«
»Mensch, Victor! Und ich dachte, ich müßte noch mindestens drei, vier Andeutungen mehr machen. Deine Gehirnwindungen haben in der Bleimine nicht gelitten.«
»Ist sie nicht ein Ausbund an Erlesenheit, außen wie innen?«
»Aber durfte ich denn …«
»Na, klar durftest du! Bist doch der Schwager!« Dieses Argument verschlug Klaus die Sprache, aber Victor fuhr fort: »Bist doch mein Bruder, und ich besitze nichts, was dir nicht mit gehört. Außerdem besteht ja meine Ehe gar nicht mehr.«
»Ich glaube«, sagte Klaus, »es war auch Trauer im Spiel. Die Suche nach dir. Das Eingeschworensein auf das gemeinsame Ziel, dich zu finden.«
»Ich kenne das. Man ist zu zweit verzweifelt und kriecht dann zueinander. Gott sei Dank!«
»Ich war in dem Brunnen gewesen, im Schacht bei der Mine, weil ich meinte, sie hatten dich da hineingeworfen. Unten, in dem modrigen Wasser, hatte es mich beinah erwischt. Meine Leine hatte sich in einem Haufen Sperrmüll verfangen. Ein toter Hund lag auch da herum. Es war wie im Gruselkabinett. Später, im Wald, gab’s einen zweiten Hund, einen Wachhund der Firma Hentschel. Ich mußte ihn mit meiner Taucherflasche erschlagen, um fliehen zu können. Und als ich dann zu Christiane zurückkam, war ich einfach reif für alles, wenn es nur schön zu sein versprach. Und das tat es. Ich hatte sie vorher schon mal, am Strand, fast netto gesehen.«
»Dann war alles Weitere unvermeidlich. Ich hätte an deiner Gesundheit ebenso wie an deinem Sinn für Ästhetik gezweifelt, wenn’s nicht so gekommen wäre. Wo ist sie jetzt?«
Klaus erzählte von Herles, von seinem Fluchtversuch und von Christianes Eingreifen. »Sie hat mir das Leben gerettet«, sagte er, und Victor antwortete: »Und also auch mir.«
In der offenen Kajütentür erschien plötzlich Maschkes Kopf. Er kam von oben, hing von der Flybridge herunter.
»Gebt mir mal mein Hemd rauf! Ich brauch’ Geld. Einer der beiden Krieger ist bereit, uns Steaks zu besorgen. Ich möchte meins halb durch, die Zwiebeln goldbraun und zum Nachtisch Erdbeeren!«
Eine halbe Stunde später standen die beiden Brüder in der engen Pantry, jeder ein buntgewürfeltes Küchenhandtuch vor dem Bauch.
»Mutter tut immer einen Schuß Cognac an das Fleisch«, sagte Victor. Sie stöberten die Schränke durch und fanden einen Rest Carlos Quinto. Als die Steaks präpariert waren, wollte
Weitere Kostenlose Bücher