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1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

Titel: 1984 (Kurt Wagenseil: Übers.) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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Verbrennung hergestellt, Parolen geprägt, Lieder verfaßt, Gerüchte in Umlauf gesetzt und Fotografien gefälscht werden. Julias Gruppe in der Literaturabteilung war von der Romanproduktion abgezogen worden und arbeitete mit Hochdruck an der Fertigstellung einer Serie von Greuelflugschriften.
    Winston verwandte neben seiner sonstigen Arbeit täglich viele Stunden darauf, im Archiv aufbewahrte frühere Nummern der Times nachzuprüfen und Angaben darin abzuändern und zurechtzufrisieren, die in Reden zitiert werden sollten. Spät in der Nacht, während Scharen lärmender Proles die Straßen bevölkerten, hing eine merkwürdige fieberhafte Stimmung über der Stadt. Raketenbomben krachten öfter als je zuvor, und manchmal erfolgten in weiter Ferne riesige Explosionen, die sich niemand erklären konnte und über die wilde Gerüchte im Umlauf waren.
    Das neue Lied, das zum Hauptschlager der Haß-Woche bestimmt war (es hieß schlechthin »Der Haßgesang«), war bereits fertig und wurde unablässig aus den Televisoren geschmettert. Es hatte einen wilden, kläffenden Rhythmus, der nicht eigentlich als Musik bezeichnet werden konnte, sondern nur wie Trommelschläge klang. Von Hunderten von Stimmen zum Gleichschritt marschierender Füße gebrüllt, klang es wahrhaft erschreckend. Doch die Proles hatten Gefallen daran gefunden, und auf den mitternächtlichen Straßen machte es dem noch immer populären »Man sagt, die Zeit heile alles« starke Konkurrenz. Die Parsonskinder bliesen es zu allen Tag- und Nachtzeiten bis zum Auswachsen auf einem Kamm und einem Blatt Toilettenpapier. Winstons Abende waren ausgefüllter denn je. Von Parsons zusammengetrommelte Freiwilligentrupps schmückten die Straße für die Haß-Woche , nähten Fahnen, malten Plakate, richteten Fahnenstangen auf den Dächern auf und spannten unter Lebensgefahr Seile für Spruchbänder und Wimpel über die Straße. Parsons brüstete sich, allein am Victory-Block würden vierhundert Meter Fahnentuch flattern. Er war ganz in seinem Element und glücklich wie ein Fisch im Wasser. Die Hitze und die körperliche Arbeit hatten ihm einen Vorwand geliefert, des Abends wieder zur Tracht der kurzen Hose und des offenen Hemdes zurückzukehren. Er war überall gleichzeitig, zog, schob, sägte, hämmerte, legte mit Hand an und ermunterte jedermann mit kleinen Witzchen und kameradschaftlichen Ermahnungen, während aus jeder Falte seines Körpers der scharfe Geruch eines scheinbar unerschöpflichen Schweißvorrats strömte.
    Ein neues Plakat war plötzlich in London aufgetaucht. Es hatte keinen Begleittext, sondern stellte nur die drei oder vier Meter hohe, erschreckende Gestalt eines eurasischen Soldaten dar, der mit ausdruckslosem Mongolengesicht und riesigen Stiefeln, eine Maschinenpistole im Anschlag, auf den Beschauer zumarschierte. Die Mündung des perspektivisch verkürzten Laufes schien, aus welchem Gesichtswinkel man das Plakat auch betrachtete, immer geradewegs auf den Beschauer gerichtet. Das Plakat war an jeder freien Mauer angeklebt, so daß es sogar die Bilder des Großen Bruders an Zahl übertraf. Die Proles, die gewöhnlich dem Krieg gleichgültig gegenüberstanden, wurden dadurch in einen ihrer periodischen Ausbrüche von Patriotismus versetzt. Die Raketenbomben hatten, als wollten sie hinter der allgemeinen Stimmungsmache nicht zurückstehen, mehr Menschen als sonst getötet. Eine fiel auf ein vollbesetztes Kino im Stadtteil Stephney, wobei mehrere hundert Opfer unter den Trümmern verbrannten. Die gesamte Bevölkerung der Umgegend nahm an der umständlichen, gründlich organisierten Beisetzung teil, die Stunden dauerte und eine wahre Protestkundgebung war. Eine andere Bombe fiel auf ein unbebautes Terrain, das als Spielplatz diente, und riß mehrere Dutzend Kinder in Stücke. Erneute Protestkundgebungen fanden statt, ein Bildnis Goldsteins wurde symbolisch verbrannt, viele hundert Plakate mit dem eurasischen Soldaten wurden spontan abgerissen und in die Flammen geworfen, und eine Anzahl Läden wurde in dem Tumult geplündert. Dann verbreitete sich ein Gerücht, daß Spione die Salven der Raketenbomben mit Hilfe von Radiowellen lenkten, worauf das Haus eines alten Ehepaars, das man ausländischer Abstammung verdächtigte, in Brand gesteckt wurde und die beiden in den Flammen umkamen.
    Jetzt, seit Winston einen sicheren Unterschlupf, fast ein Zuhause hatte, schien es kaum noch eine so große Unbequemlichkeit, daß sie sich nur selten und immer nur für ein paar

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