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1984

1984

Titel: 1984 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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nicht gelöst. Er verstand das Wie , aber er verstand nicht das Warum . Das 1. Kapitel wie das 3. Kapitel hatte ihm in Wirklichkeit nichts enthüllt, was er 97
    George Orwell – 1984
    nicht schon wußte; es hatte lediglich Ordnung in das Wissen gebracht, das er bereits besaß. Aber nachdem er es gelesen hatte, wußte er besser als zuvor, daß er nicht verrückt war. Zu einer Minderheit zu gehören, selbst zu einer Minderheit von einem einzigen Menschen, stempelte einen noch nicht als verrückt. Hier war die Wahrheit und dort war die Unwahrheit, und wenn man sogar gegen die ganze Welt an der Wahrheit festhielt, war man nicht verrückt. Ein gelber Strahl der untergehenden Sonne fiel schräg durchs Fenster und auf das Kissen, Er schloß die Augen. Die Sonne auf seinem Gesicht und der glatte Körper des Mädchens, der seinen eigenen berührte, gab ihm ein beruhigendes, einschläferndes, vertrauensvolles Gefühl. Er war in Sicherheit, alles war schön und gut. Im Einschlafen murmelte er vor sich hin: »Geistige Gesundheit ist keine statistische Angelegenheit« und hatte das Gefühl, diese Feststellung enthalte eine tiefe Weisheit.
    Zehntes Kapitel
    Er erwachte mit dem Gefühl, lange Zeit geschlafen zu haben, aber ein Blick auf die altmodische Uhr belehrte ihn, daß es erst zwanzig Uhr dreißig war. Er lag eine Weile da und döste; dann drang vom Hof unten die übliche tiefe Singstimme herauf:
    »Es war nur ein tiefer Traum,
    Ging wie ein Apriltag vorbeiii,
    Aber sein Blick war leerer Schaum,
    Brach mir das Herz entzweiii!«
    Das törichte Lied schien sich seine Beliebtheit bewahrt zu haben. Man hörte es noch immer überall. Es hatte den Haßgesang überlebt. Julia wachte bei diesen Tönen auf, räkelte sich genießerisch und stieg aus dem Bett.
    »Ich bin hungrig«, sagte sie. »Machen wir uns noch einen Kaffee. Verflixt! Der Kocher ist ausgegangen, und das Wasser ist kalt.« Sie nahm den Kocher hoch und schüttelte ihn. »Kein Brennstoff mehr drin.«
    »Wir können sicher welchen vom alten Charrington bekommen.«
    »Das Komische ist nur, daß ich mich überzeugt hatte, daß er voll war. Ich ziehe rasch meine Sachen an«, fügte sie hinzu. »Es scheint kälter geworden zu sein.«
    Winston stand gleichfalls auf und zog sich an. Die unermüdliche Stimme sang weiter:
    »Man sagt, die Zeit heile alles,
    Es heißt, man kann alles vergessen,
    Aber vom Schmerz meines Falles,
    Von dem bleib' ich ewig besessen!«
    Während er den Gürtel seines Trainingsanzuges zumachte, schlenderte er hinüber zum Fenster. Die Sonne mußte hinter den Häusern untergegangen sein; sie schien nicht mehr in den Hof. Die Steinplatten waren feucht, als seien sie soeben gewaschen worden, und er hatte das Gefühl, als sei auch der Himmel gewaschen worden, so frisch und blaß war das Blau zwischen den Kaminrohren. Ohne zu erlahmen, ging die Frau unten hin und her, verkorkte und entkorkte ihren Mund mit Wäscheklammern, sang und schwieg wieder und hängte mehr und mehr und immer noch mehr Windeln auf. Er fragte sich, ob sie Wäsche zum Erwerb ihres Lebensunterhalts annahm oder lediglich die Sklavin von zwanzig oder dreißig Enkelkindern war. Julia war neben ihn getreten; zusammen blickten sie in einer Art Bezauberung hinunter auf die stämmige Gestalt. Wie er die Frau in ihrer charakteristischen Haltung betrachtete, ihre dicken Arme zur Wäscheleine emporgehoben, während ihre mächtigen, an eine Stute erinnernden Hinterbacken sich wölbten, kam es ihm zum erstenmal zum Bewußtsein, daß sie schön war. Es war ihm nie vorher in den Sinn gekommen, der Körper einer fünfzigjährigen Frau, der durch Geburten zu monströsen Ausmaßen gedunsen und dann durch Arbeit vergröbert und verhärtet war, bis seine grobe Haut der Schale einer überreifen Rübe ähnelte, könnte schön sein. Aber dem war so und, dachte er, warum auch nicht? Der feste, umrißlose Körper, der wie ein Granitblock war, und die rauhe rote Haut verhielten sich zu einem Mädchenleib genauso wie die Hagebutte zur Heckenrose. Warum sollte man die Frucht geringer schätzen als die Blume?
    »Sie ist schön«, murmelte er.
    »Sie mißt leicht einen Meter um die Hüften herum«, meinte Julia.
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    George Orwell – 1984
    »Das ist ihre Art von Schönheit«, sagte Winston.
    Sein Arm umspannte mühelos Julias biegsame Taille. Von der Hüfte bis zum Knie schmiegte sich ihr Körper an den seinen. Aus ihren Leibern würde nie ein Kind hervorgehen. Das war etwas, was sie nie tun konnten. Nur von Mund

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