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1984

1984

Titel: 1984 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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einstellten, aber völlig uninteressant schienen, begannen ihm durch den Kopf zu huschen. Er fragte sich, ob sie auch Herrn Charrington festgenommen hatten. Und was hatten sie mit der Frau im Hof getan? Er merkte, daß er dringend Wasser lassen mußte, und war ein wenig erstaunt darüber, denn er hatte das erst vor zwei oder drei Stunden getan. Er bemerkte, daß die Uhr auf dem Kaminsims auf neun zeigte, was soviel bedeuten sollte wie einundzwanzig Uhr. Aber das Licht schien zu hell. War es an einem Augustabend um einundzwanzig Uhr nicht schon dunkler? Er fragte sich, ob nicht am Schluß er und Julia sich in der Zeit geirrt
    – einen Tag überschlafen und gedacht hatten, es sei zwanzig Uhr dreißig, während es in Wirklichkeit genau 100
    George Orwell – 1984
    acht Uhr dreißig am nächsten Morgen war. Aber er verfolgte den Gedanken nicht weiter. Es war nicht interessant.
    Auf dem Gang näherte sich jetzt ein anderer, leichterer Schritt. Herr Charrington kam ins Zimmer. Das Benehmen der schwarzuniformierten Männer wurde plötzlich unterwürfiger. Auch in Herrn Charringtons Äußerem hatte sich etwas verändert. Sein Blick fiel auf die Splitter des gläsernen Briefbeschwerers.
    »Diese Splitter aufheben«, sagte er scharf.
    Ein Mann bückte sich, um zu gehorchen. Der Londoner Vorstadtakzent war verschwunden; Winston war sich plötzlich darüber im klaren, wessen Stimme es war, die er vor ein paar Augenblicken am Televisor gehört hatte. Herr Charrington hatte noch immer seine alte Samtjacke an, aber sein Haar, das fast weiß gewesen war, hatte sich in Schwarz verwandelt. Auch trug er keine Brille. Er warf nur einen einzigen scharfen Blick auf Winston, so als stelle er seine Identität fest, und schenkte ihm dann keine Aufmerksamkeit mehr. Er war noch erkennbar, aber er war nicht mehr derselbe Mensch. Sein Körper hatte sich gestrafft und schien größer geworden zu sein. Sein Gesicht hatte nur geringfügige Veränderungen erfahren, die trotzdem eine vollständige Verwandlung herbeigeführt hatten. Die schwarzen Augenbrauen waren weniger buschig, die Falten verschwunden, die ganze Physiognomie schien sich verändert zu haben; sogar die Nase wirkte kürzer. Es war das aufgeweckte, kalte Gesicht eines Mannes von etwa fünfunddreißig Jahren. Es kam Winston zum Bewußtsein, daß er zum erstenmal in seinem Leben wissentlich einem Mitglied der Gedankenpolizei gegenüberstand.
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    George Orwell – 1984
    Dritter Teil
    Erstes Kapitel
    Er wußte nicht, wo er sich befand. Wahrscheinlich war er im Ministerium für Liebe; aber es bestand keine Möglichkeit, sich zu vergewissern.
    Er befand sich in einer hohen, fensterlosen Zelle mit Wänden aus schimmernden weißen Kacheln.
    Verborgene Lampen durchfluteten sie mit kaltem Licht, und ein leises, ständig summendes Geräusch war zu hören, von dem er annahm, daß es etwas mit der Lüftung zu tun hatte. Eine Bank oder Pritsche, gerade breit genug, um darauf zu sitzen, lief rings um die Wand und war nur bei der Tür unterbrochen. Am Zellenende, der Tür gegenüber, war eine Klosettschüssel ohne hölzernen Sitz angebracht. Ein Televisor war an jeder der vier Wände vorhanden.
    Ein dumpfer Schmerz in der Magengegend quälte ihn. Er hatte sich von dem Augenblick an bemerkbar gemacht, als man ihn in den geschlossenen Gefängniswagen gesteckt und weggefahren hatte. Aber er war auch hungrig, er fühlte einen nagenden, krankhaften Hunger. Es mochte vierundzwanzig Stunden her sein, seit er zuletzt etwas gegessen hatte – oder auch sechsunddreißig. Er wußte noch immer nicht und würde es vermutlich nie wissen, ob es Morgen oder Abend gewesen war, als man ihn festnahm. Seit seiner Verhaftung hatte er nichts mehr zu essen bekommen.
    Er saß so unbeweglich da, wie er konnte, mit über dem Knie verschränkten Händen auf der schmalen Bank. Er hatte bereits gelernt, still dazusitzen. Machte man unerwartete Bewegungen, so wurde man durch den Televisor angeschrien. Aber sein Verlangen nach etwas Eßbarem wurde immer heftiger. Vor allem gelüstete ihn nach einem Stück Brot. Er glaubte sich zu erinnern, daß in der Tasche seines Trainingsanzugs ein paar Brotkrumen waren. Er kam auf diesen Gedanken, weil ihn von Zeit zu Zeit etwas am Bein zu kitzeln schien – daß noch ein anständiges Stück Rinde darin steckte. Schließlich war sein Verlangen, sich davon zu überzeugen, stärker als seine Furcht. Er schob seine Hand in die Tasche.
    »Smith!« schrie eine Stimme aus dem Televisor. »6079

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