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1984

1984

Titel: 1984 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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erwacht. Sein Denken kreiste rund und rund um dieselbe Bahn, wie eine Kugel, die immer wieder in die gleiche Reihe von Löchern fällt. Er kannte nur sechs Gedanken: Seine Leibschmerzen; ein Stück Brot; das Blut und das Wehgeschrei; O'Brien; Julia; die Rasierklinge. Seine Eingeweide krampften sich erneut zusammen; die schweren Stiefel näherten sich. Als die Tür aufging, wehte der von ihr hervorgerufene Luftzug einen durchdringenden kalten Schweißgeruch herein. Parsons trat in die Zelle.
    Er hatte eine kurze Khakihose und ein Sporthemd an.
    Diesmal war Winston so verblüfft, daß er alle Vorsicht vergaß.
    » Sie hier!« sagte er.
    Parsons warf Winston einen Blick zu, aus dem weder Teilnahme noch Erstaunen, sondern nur Jammer sprach. Er begann mit ruckhaften Bewegungen hin und her zu gehen, offensichtlich unfähig, sich ruhig zu verhalten. Jedesmal, wenn er seine plumpen Knie durchdrückte, sah man, daß sie zitterten. Seine Augen hatten einen aufgerissenen, starren Blick, so als könnte er sich nicht enthalten, nach etwas in der näheren Umgebung zu stieren.
    »Weswegen sind Sie hier?« fragte Winston.
    »Gedankenverbrechen!« sagte Parsons, fast unter Schluchzen. Der Ton seiner Stimme drückte gleichzeitig ein vollständiges Eingeständnis seiner Schuld als auch eine Art ungläubigen Entsetzens aus, daß ein solches Wort überhaupt auf ihn Anwendung finden konnte. Er blieb vor Winston stehen und begann sich eifrig bei ihm zu beschweren: »Sie glauben doch nicht, daß sie mich erschießen werden, nicht wahr, alter Junge? Sie erschießen einen doch nicht, wenn man nicht wirklich etwas verbrochen hat – sondern nur in Gedanken, wofür man nichts kann? Ich weiß, daß sie einem ein anständiges Verhör gewähren. Ach, darin habe ich volles Vertrauen zu ihnen! Sie werden ja meinen Personalakt kennen. Sie wissen, was für ein Mensch ich war. Auf meine Art kein schlechter Kerl. Kein sehr großes Licht freilich, aber beflissen. Ich habe mein Bestes für die Partei zu tun versucht, das hab' ich doch, nicht wahr? Ich werde mit fünf Jahren davonkommen, glauben Sie nicht? Oder auch mit zehn Jahren? Ein Mann wie ich könnte sich in einem Arbeitslager sehr nützlich machen. Sie werden mich doch nicht erschießen, nur weil ich einmal entgleist bin?«
    »Sind Sie schuldig?« fragte Winston.
    »Natürlich bin ich schuldig!« schrie Parsons mit einem kriecherischen Seitenblick nach dem Televisor.
    »Sie glauben doch nicht, daß die Partei einen unschuldigen Menschen verhaften würde?« Sein Froschgesicht wurde ruhiger und nahm sogar einen ein wenig scheinheiligen Ausdruck an. »Gedankenverbrechen ist etwas Schreckliches, alter Junge«, sagte er salbungsvoll. »Es ist etwas Heimtückisches. Es kann einen überkommen, sogar ohne daß man es weiß. Wissen Sie, wie es mich überkommen hat? Im Schlaf! Ja, das ist Tatsache. Da war ich, plagte mich, versuchte das meinige zu leisten – und hatte keine Ahnung, daß ich überhaupt je etwas Böses im Kopf hatte. Und dann fing ich an, im Schlaf zu sprechen. Wissen Sie, was man mich sagen hörte?«
    Er senkte die Stimme wie jemand, der aus ärztlichen Gründen gezwungen ist, eine Unschicklichkeit auszusprechen.
    »›Nieder mit dem Großen Bruder!‹ Ja, das sagte ich! Sagte es immer wieder, wie es scheint. Unter uns, alter Junge, ich bin froh, daß man mich ertappt hat, ehe es weiterging. Wissen Sie, was ich sagen werde, 105
    George Orwell – 1984
    wenn ich vor Gericht stehe? ›Danke euch‹, werde ich sagen, ›danke euch, daß ihr mich gerettet habt, ehe es zu spät war.‹«
    »Wer hat Sie angezeigt?« fragte Winston.
    »Es war mein Töchterchen«, sagte Parsons mit einer Art von betrübtem Stolz. »Sie lauschte am Schlüsselloch. Hörte, was ich sagte, und gleich am nächsten Tag lief sie zu den Streifen. Allerhand tüchtig für einen Dreikäsehoch von sieben Jahren, he? Ich hege deshalb keinen Groll gegen sie. Tatsächlich bin ich stolz auf sie. Es beweist jedenfalls, daß ich sie in dem richtigen Geist erzogen habe.«
    Er ging noch ein paarmal erregt hin und her, wobei er mehrmals einen sehnsüchtigen Blick auf die Klosettschüssel warf. Dann streifte er plötzlich seine kurze Hose herunter:
    »Entschuldigen Sie, alter Junge«, sagte er. »Ich kann's nicht mehr aushallen. Schuld ist das ewige Warten.«
    Er pflanzte seinen dicken Hintern auf die Klosettschüssel. Winston bedeckte sein Gesicht mit den Händen.
    »Smith!« schrie die Stimme vom Televisor. »6079 Smith W.! Hände vom

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