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1984

1984

Titel: 1984 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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erinnerte.
    »Was ist das?« fragte Winston entzückt.
    »Eine Koralle«, sagte der alte Mann. »Sie muß aus dem Indischen Ozean stammen. Man pflegte sie gleichsam ins Glas einzubetten. Das wurde vor über hundert Jahren so gemacht. Vielleicht sogar schon vor längerer Zeit, nach ihrem Aussehen zu schließen.«
    »Es ist ein sehr schöner Gegenstand«, meinte Winston.
    »Etwas sehr Schönes«, sagte der andere anerkennend. »Heutzutage gibt es nicht viele Dinge, von denen man das sagen könnte.« Er hustete. »Nun, sollten Sie es zufällig kaufen wollen, so überlasse ich es Ihnen für vier Dollar. Ich kann mich einer Zeit erinnern, wo ein solches Stück acht Pfund gebracht hätte, und damals waren acht Pfund – nun ich kann es nicht umrechnen, jedenfalls eine Menge Geld. Aber wer hat heutzutage noch etwas übrig für echte Antiquitäten – für die wenigen, die es noch gibt?«
    Winston bezahlte sofort die vier Dollar und steckte den begehrten Gegenstand in seine Tasche. Was ihn daran fesselte, war nicht so sehr seine Schönheit, sondern ein gewisses Etwas, das ihm anhaftete und darauf hinzudeuten schien, daß er einem anderen, grundverschiedenen Zeitalter angehörte. Das weiche, regenwasserartige Glas war nicht wie ein gewöhnliches Glas, und er hatte so etwas noch nie gesehen. Der Gegenstand war durch seine offenbare Nutzlosigkeit doppelt anziehend, obwohl er erraten konnte, daß er 43
    George Orwell – 1984
    vermutlich einmal als Briefbeschwerer gedacht war. Er wog sehr schwer in seiner Tasche, aber zum Glück bauschte er sie nicht sehr auf. Es war auffallend, sogar kompromittierend für ein Parteimitglied, dergleichen in seinem Besitz zu haben. Alles Alte – und damit alles Schöne – war immer ein wenig verdächtig. Der alte Mann war merklich liebenswürdiger geworden, nachdem er die vier Dollar bekommen hatte. Winston wurde klar, daß er sich auch mit drei oder sogar zwei zufriedengegeben hätte.
    »Oben ist noch ein anderes Zimmer, das Sie vielleicht gerne besichtigen möchten«, sagte er. »Es steht nicht viel drin. Nur ein paar Möbelstücke. Wenn wir hinaufgehen, wird eine Lampe als Beleuchtung genügen!«
    Er zündete eine andere Lampe an und ging mit gebeugtem Rücken voran die steile, ausgetretene Treppe hinauf, und weiter durch einen winzigen Flur in ein Zimmer, das keinen Ausblick auf die Straße, sondern auf einen gepflasterten Hof und einen Wald von Schornsteinen hatte. Winston bemerkte, daß die Möbel noch so aufgestellt waren, als wäre das Zimmer bewohnt. Ein Teppichstreifen lag auf dem Fußboden, ein paar Bilder hingen an den Wänden, und ein tiefer, durchgesessener Lehnstuhl war an den offenen Kamin gerückt. Eine altmodische Standuhr unter einem Glassturz und mit einem Zwölferzifferblatt tickte auf dem Kaminsims. Unter dem Fenster stand, fast ein Viertel des Zimmers einnehmend, ein riesiges Bett, auf dem noch die Matratzen lagen.
    »Wir wohnten hier, bis meine Frau starb«, sagte der alte Mann, halb um Entschuldigung bittend. »Jetzt verkaufe ich die Möbel eins nach dem anderen. Das hier ist ein prachtvolles Mahagonibett, oder es wäre jedenfalls prächtig, wenn man die Wanzen herausbekommen könnte. Aber Sie werden vermutlich finden, daß es zuviel Platz einnimmt.«
    Er hielt die Lampe hoch, um den ganzen Raum zu beleuchten, und in dem warmen, gedämpften Licht sah das Zimmer merkwürdig einladend aus. Durch Winstons Kopf huschte der Gedanke, daß es vermutlich ganz leicht sein würde, das Zimmer für ein paar Dollar in der Woche zu mieten, wenn man nur die Gefahr auf sich zu nehmen wagte. Es war ein toller, unmöglicher Einfall, den er gleich darauf wieder fallen ließ; aber das Zimmer hatte in ihm so etwas wie Heimweh, eine Art alter Erinnerung, geweckt. Es kam ihm vor, als wüßte er genau, wie man sich fühlte, wenn man in einem solchen Zimmer im Lehnstuhl neben einem offenen Feuer saß, mit den Füßen gegen das Kamingitter und einem Teekessel auf dem Kaminbord: ganz allein, ganz sicher, ohne jemand, der einen beobachten, ohne eine Stimme, die einen verfolgen konnte kein anderer Laut als das Summen des Kessels und das freundliche Ticken der Uhr.
    »Und keinen Televisor«, murmelte er unwillkürlich.
    »Oh«, sagte der alte Mann, »ich habe nie eins von diesen Dingen besessen. Zu teuer. Ich habe offenbar auch nie ein Bedürfnis danach verspürt. Dort drüben in der Ecke sehen Sie ein hübsches Klapptischchen. Sie müßten allerdings neue Scharniere anbringen lassen, wenn Sie es

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