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1984

1984

Titel: 1984 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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waren – wenn es soweit war, dann mußte die Behauptung der Partei, die Lebensbedingungen der Menschen verbessert zu haben, als wahr hingenommen werden, weil es keinen Maßstab mehr gab, den man hätte anlegen können, und nie mehr einen geben würde.
    In diesem Augenblick kam sein Gedankengang plötzlich zum Stillstand. Er blieb stehen und blickte hoch.
    Er befand sich in einer engen Gasse mit ein paar unbeleuchteten Läden, die zwischen Wohnhäusern verstreut lagen. Unmittelbar über seinem Kopf hingen drei verfärbte Metallkugeln, die aussahen, als wären sie einmal vergoldet gewesen. Es kam ihm so vor, als kenne er die Stelle. Natürlich! Er stand vor dem Altwarenladen, in dem er das Tagebuch gekauft hatte.
    Ein jähes Erschrecken durchzuckte ihn. Es war schon hinreichend gewagt gewesen, das Buch überhaupt zu kaufen, und er hatte sich geschworen, nie wieder in die Nähe des Ladens zu gehen. Und doch hatten ihn 42
    George Orwell – 1984
    in dem Augenblick, als er seinen Gedanken zu schweifen erlaubt hatte, seine Füße ganz von selbst wieder hierher getragen. Gerade gegen solche selbstmörderischen Impulse hoffte er sich zu wappnen, indem er das Tagebuch begann.
    Gleichzeitig bemerkte er, daß der Laden, obwohl es fast einundzwanzig Uhr war, noch immer offengehalten wurde. In dem Gefühl, drinnen weniger aufzufallen, als wenn er auf dem Gehsteig blieb, trat er durch die Tür ein. Falls gefragt wurde, konnte er glaubhaft versichern, daß er sich nach Rasierklingen erkundigt habe.
    Der Ladenbesitzer hatte gerade eine Petroleumlampe angezündet, die einen unsauberen, aber anheimelnden Geruch verbreitete. Er war ein etwa sechzigjähriger Mann, gebrechlich und vornüber gebeugt, mit einer langen, gutmütigen Nase und milden Augen, die von den dicken Brillengläsern ganz verzerrt wurden. Sein Haar war fast weiß, aber seine Augenbrauen waren buschig und noch dunkel. Seine Brille, seine zarten, umständlichen Bewegungen und seine altmodische schwarze Samtjacke verliehen seiner Erscheinung einen intellektuellen Anstrich, als sei er ein Literat oder vielleicht ein Musiker.
    »Ich erkannte Sie schon auf der Straße«, sagte er sofort. »Sie sind der Herr, der das Poesiealbum gekauft hat. Das war ein herrliches Papier, wirklich herrlich. Sogenanntes Crèmepapier, so sagte man früher. So ein Papier wird nicht mehr hergestellt seit – oh, ich möchte sagen, seit fünfzig Jahren.« Er sah Winston über seine Brillengläser hinweg an. »Kann ich Ihnen mit etwas Bestimmtem dienen? Oder wollten Sie sich nur eben mal umsehen?«
    »Ich kam gerade vorbei«, sagte Winston zögernd. »Wollte nur eben mal hereinschauen. Ich suche nichts Bestimmtes.«
    »Um so besser«, sagte der andere, »denn ich glaube, ich hätte Sie nicht zufrieden stellen können.« Er machte eine entschuldigende Bewegung mit seiner weichen Hand. »Sie sehen ja selbst: der Laden ist leer, möchte man sagen. Unter uns gesagt, der Antiquitätenhandel ist so gut wie erledigt. Keine Nachfrage mehr, und auch kein Angebot. Möbel, Porzellan, Glas – alles geht langsam in die Brüche. Und die Metallgegenstände sind natürlich größtenteils eingeschmolzen worden. Ich habe seit Jahren keinen Messingleuchter mehr gesehen.«
    Das enge Ladeninnere war in Wirklichkeit ungemütlich vollgekramt, aber es gab fast keinen Gegenstand von dem geringsten Wert darin. Der freie Raum auf dem Fußboden war sehr beschränkt, da rings an den Wänden entlang zahllose verstaubte Bilderrahmen aufgeschichtet waren. Im Schaufenster standen Tragbrettchen voll Schrauben und Nägeln, abgenutzten Meißeln, Federmessern mit abgebrochenen Klingen, verrosteten Uhren, die wohl niemals wieder gehen würden, und dem verschiedenartigsten Schund.
    Nur auf einem Tischchen in einer Ecke lag allerlei netter Krimskrams – lackierte Schnupftabakdosen, Achatbroschen und dergleichen –, Dinge, die so aussahen, als könnte sich etwas Interessantes darunter befinden. Als Winston zu dem Tischchen hinüberschlenderte, fiel sein Blick auf einen runden, glatten Gegenstand, der sanft im Lampenlicht schimmerte, und er nahm ihn in die Hand.
    Es war ein schweres Stück Glas, auf der einen Seite abgerundet, auf der ändern flach, also fast eine Halbkugel. Ein besonders weicher Ton, als wäre es aus Regenwasser, haftete sowohl der Farbe wie der Beschaffenheit des Glases an. In seinem Innern war, durch die runde Oberfläche vergrößert, ein seltsames, rosafarbenes Gebilde zu sehen, das an eine Rose oder Seeanemone

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