1986 Das Gift (SM)
leichtesten, also bei Fernando. Es hatte vieler Worte bedurft, den zwar mit einem Binnengewässer, nicht aber mit dem Meer vertrauten Mexikaner zur Teilnahme zu bewegen; doch schließlich hatte er eingesehen, daß ihm auch diesmal keine Wahl blieb.
Bei den letzten Proben hatten sie für die eintausendundsechshundert Meter lange Strecke zwischen dreiundzwanzig und sechsundzwanzig Minuten benötigt, allerdings das Bootshaus um etliche Meter verfehlt und daher zusätzliche Zeit für die Suche gebraucht. Daraufhin hatten sie Sonderübungen durchgeführt, hatten immer wieder links und rechts vom Bootsschuppen getaucht, bis sie sich auf einem Uferabschnitt von hundert Metern auskannten.
Nun hoffte Leo, das gründliche Training komme ihnen zugute. Nach achtzehn Minuten schaltete er zum ersten Mal die Lampe ein, stellte jedoch fest, daß es sich noch nicht lohnte, nach dem Schuppen zu suchen. Er sah nur ein paar aufgeschreckte Fische davonhuschen, machte das Licht wieder aus.
Natürlich war unter ihnen auch die Frage erörtert worden, ob sie es womöglich mit Haien zu tun bekommen würden, doch die eingeholten Informationen hatten sie beruhigt. Am Revolcadero-Strand, einem Küstenstreifen außerhalb der Bucht, so hieß es, hätten Haie hin und wieder einen Schwimmer getötet oder verletzt, aber in die bahía kämen sie nicht. Nur ganz vereinzelt könne es passieren, daß ein junges, unerfahrenes Tier in die Bucht gerate. Doch das war ihnen als eine so seltene Ausnahme dargestellt worden, daß sie es als Gefahrenmoment gar nicht erwogen hatten.
Hoffentlich, dachte Leo, verlagern unsere Gegner nun auch wirklich ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Chantengo - Lagune und die carretera 200! Aber im Grunde war er seiner Sache sicher, hatte er ihnen doch sehr zeitig und sehr detailliert, auch energisch genug, den Fluchtweg diktiert. Und die auslaufende Yacht mußte ein übriges bewirkt haben.
Nun, da er durch das nächtlich-schwarze Wasser glitt, leistete auch er sich die Vorausschau um drei, vier Stunden, allerdings nicht in genüßlicher Weise, wie Richard und Felix es getan hatten. Wenn wir erst mal unsere Hotels erreicht haben, dachte er, sind wir Gäste wie andere auch. Unsere Buchungen liegen seit langem vor. Vielleicht wundern sich die Leute an der Rezeption darüber, daß wir ausgerechnet jetzt nach Acapulco kommen, aber sie werden keinen Verdacht schöpfen. Erstens steigen wir nicht zu dritt in ein und demselben Hotel ab. Zweitens läßt sich überzeugend erklären, wir sähen nach dem Start der Yacht die Bedrohung als beendet an. Drittens hat jeder von uns für den Notfall ein Ersatzvisum mit dem Einreisevermerk von gestern. Wie gut, daß Felix uns das Muster nach Deutschland geschickt hat! Es war ein Kinderspiel, den Stempel nachzumachen. Und viertens: Wir reisen mit kleinem Gepäck. Zumindest ist es so klein, daß nicht haufenweise Dollarnoten darin vermutet werden können.
Er blickte sich um, einmal nach links, einmal nach rechts, war beruhigt, hatte auf beiden Seiten das kleine, grüne Kontrollicht am Kopf des Scooters gesehen. Sie waren also noch zusammen. Er schaltete seine Stablampe wieder ein, hielt sie nach unten, sah nicht mehr nur Wasser, sondern die ersten Konturen des felsigen Untergrundes, auch ein paar Muschelbänke, richtete den Strahl nach vorn und erkannte die leichte Schrägung des Bodens. Unter ihm ging es also bergauf. Das Ufer war nah! Er löschte das Licht. Schon nach etwa zwanzig Metern schaltete er es erneut ein. Unter ihm befand sich nur noch gut ein Meter Wasser. Er verlangsamte die Geschwindigkeit. Richard und Felix rückten auf, wurden dann ebenfalls langsamer und vergrößerten den seitlichen Abstand zu Leo. Alle drei suchten mit Hilfe ihrer Lampen die Eckpfeiler des Bootshauses.
Nach etwa zwei Minuten gab Richard das Zeichen; er hatte die Einfahrt gefunden. Nach einer weiteren Minute befanden sie sich im Innern des Schuppens.
Sie schalteten die Motoren aus, banden ihre Fahrzeuge fest, kletterten über die kleine eiserne Leiter auf den Steg, befreiten sich von Lasten und Schwimmflossen. Leo schloß die Tür. Dann stieg Richard wieder ins Wasser, hakte die Geldboxen ab, reichte sie hinauf. Das alles geschah im Dunkeln und fast geräuschlos. Auch für diesen Teil des Unternehmens hatten sie jeden Schritt, jeden Handgriff viele Male geübt, erst bei Tage, dann bei Nacht: das Aufknoten des Tauwerks, das Ersteigen der glitschigen Sprossen, das Hantieren mit den Geräten. Jetzt machte es sich
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