1986 Das Gift (SM)
absuchen. Was können sie finden? Der Sand, den wir in die Bucht geschüttet haben, ist längst weggespült. Aber vielleicht stoßen sie auf die Teile der Hausleit-Technik. Na und? Die sind dann nur ein weiteres Indiz für die Annahme, daß das Haus mit den Säulen unser Stützpunkt war.
Er verließ den Balkon, überprüfte das Sicherheitsschloß seines kleinen SAMSONITE-Koffers, der ein paar Dinge enthielt, die neugierigen Zimmermädchen nicht unter die Augen kommen sollten, zum Beispiel die Reisepässe mit verschiedenen Namen, die MAUSER und mehrere Schachteln Munition.
Er stellte den Koffer in den Wandschrank, schloß auch diesen ab und steckte den Schlüssel ein. Dann ging er zum Lift und fuhr hinunter in die Halle, setzte sich dort in einen Sessel und beobachtete, wie sich auch hier der normale Tagesverlauf wieder einstellte.
4.
Eine seiner beiden großen Leidenschaften, das Roulettespiel, mußte Felix Lässer einstweilen noch zügeln. Zwar war ein Flug nach Tijuana oder Las Vegas für ihn ganz ungefährlich, aber die Freunde hatten nun mal beschlossen, füreinander erreichbar zu sein. Blieb seine zweite Leidenschaft.
Da er während der ersten Tage keine Hotel- oder Strandbekanntschaften machen wollte, hatte er sich fürs Anonyme entschieden. Die Bordelle, nahm er an, waren wohl nicht völlig leergefegt worden; falls aber doch, gehörten sie vermutlich zu den Einrichtungen, die schnell wieder in Gang kamen, ähnlich wie Läden und Märkte.
Er wußte, daß es in Acapulco erstklassige, über das ganze Stadtgebiet verstreute Hurenhäuser gab. Auch kannte er die zona roja , die Rote Zone. Er hatte sie in der Vorbereitungsphase einmal besucht und danach gemieden. Die Gegend war ihm zu schmutzig, und die Fünf-Dollar-Nutten entsprachen weder seinem Geschmack noch seinem Sinn für Hygiene.
Auch er sicherte seinen kleinen Koffer mit Hilfe des Zahlenschlosses, schob ihn dann unter das breite Bett.
Er rieb sich das Kinn, spürte wieder einmal, daß bei ihm die Morgenrasur nicht auch noch für den Abend gut war. Doch in den letzten Monaten hatte er zuviel über die neue Seuche gelesen, als daß er jetzt das Risiko eingehen wollte, sich kurz vor einem Bordellbesuch die Haut zu verletzen. Ja, im Grunde fürchtete er sich vor allen Krankheiten, und so war denn auch die Tasche, die er nun zur Hand nahm, nicht die übliche, nicht das kleine lederne Behältnis für Dokumente und Zigaretten, sondern der fertig gepackte Strandbeutel aus blauem Leinen. Er fuhr mit dem Lift hinunter, gab seinen Schlüssel an der Rezeption ab und trat hinaus auf den belebten Bürgersteig. Er sah in befreit wirkende Gesichter, hörte sogar, daß Passanten sich beglückwünschten, weil die Tage des Schreckens zu Ende waren.
Er fühlte sich wohl, so wohl wie seit langem nicht. Eine wochen-, ja, monatelange Phase harter Arbeit und nervlicher Anspannung war vorüber. Das Geld befand sich an sicherem Ort; eine großartige Zukunft lag vor ihm. Gewiß, es hatte ein paar Pannen gegeben, böse Pannen, die Toten auf beiden Seiten. Vor allem Fernando würde ihm noch lange auf der Seele liegen, weil er von seiner Hand gestorben war. Aber, ähnlich wie Leo, hielt auch er beschwichtigende Theorien bereit, die ihm halfen, seine Schuldgefühle einzudämmen. Wir hatten, sagte er sich, keine andere Möglichkeit! Leo hatte recht, als er erklärte, in jedem Krieg gebe es Tote und unsere Sache sei ein Krieg. Wirklich, es war eine Art Kriegsrecht, dem wir uns beugen mußten. Ein Deserteur ist jemand, der andere gefährdet. Das ist schon mal Verrat. Aber Raúl und Fernando waren sogar bereit, noch einen Schritt weiterzugehen. Sie wollten nicht nur desertieren, sondern uns vorher beseitigen. Zugegeben, sie konnten nicht einfach verschwinden, konnten den Ort der Handlung nicht so ohne weiteres verlassen, denn dieser Ort war ein kleines Boot ohne Landzugang, und darum gab es für sie nur den Weg über unsere Leichen.
Aber genau dieser Umstand ließ auch uns keine Wahl. Die Lage war so, daß es auf der FLECHA Tote geben mußte, und da war das Töten natürlich besser als das Getötetwerden. Wir haben nur unsere Haut verteidigt, haben in Notwehr gehandelt. Also Freispruch! sagte er sich und trat an die Fahrbahn, um ein Taxi herbeizuwinken. Er mußte zehn Minuten warten, bis eins kam. Das war eine für Acapulco ungewöhnlich lange Zeit, aber die Erklärung lag auf der Hand. Natürlich hatten auch die Taxifahrer ihr Heil in der Flucht gesucht, und viele waren eben noch
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