1986 Das Gift (SM)
und ließen wochenlang nach ihm suchen. Es gab ja noch viel zu regeln wegen der Scheidung und der finanziellen Auseinandersetzung. Das ist … ja, das ist die Erklärung für sein Verschwinden! Und ob ich ihm das zutraue! Ich frage mich, wieso mir der Gedanke an Schweikert gar nicht gekommen ist, da doch das Fernsehen und die Zeitungen ständig von dem Fall berichten. Ein Chemieverbrechen, schrieb eine Zeitung, aber keins von den üblichen, sondern eins aus der Schwerstkriminalität. Daß ich bei einer solchen Meldung nicht auf Schweikert gekommen bin!«
Er, Paul Wieland, war im Hintergrund geblieben, hatte das Gespräch verfolgt und mehr Haß herausgehört als brauchbare Information. Bis es dann wirklich konkret wurde, als man nämlich die Tonbandaufzeichnungen der zwischen dem Krisenstab und den Erpressern geführten Gespräche heranzog. Er hatte gehofft, der Beamte würde nicht gleich als erstes die Stimme des Deutschen abspielen. Er hätte Hollmann zugetraut, sein Urteil aus purer Rachsucht zu fällen.
Es begann mit einem längeren Text des Spaniers.
»Nein, nein! Ausgeschlossen!« lautete der Kommentar.
Dann kam seine eigene Stimme mit dem kurzen Beitrag:
»21,2 Millionen Dollar, das sind über vierzig Millionen Mark …« Und wieder antwortete Hollmann ohne Zögern:
»Das ist er auch nicht. Aber offenbar sind Deutsche dabei.«
Der Beamte machte es gewissenhaft, legte noch eine GarciaPassage ein, und Hollmann sagte: »Es ist nicht seine Stimme; außerdem spricht er ein anderes Englisch.«
Der Mann spulte das Band weiter vor, sah auf seinen Zettel, kontrollierte das Zählwerk, stoppte das Gerät, drückte auf START, und dann ertönte auf englisch: »Ihre Journalisten werden ja wohl nicht vom Strand auf den Felsen gesprungen sein, sondern sie sind geschwommen oder mit einem Boot …«
Hollmann reagierte mit einer theatralischen Geste, hob die rechte Hand, und nachdem das Gerät ausgeschaltet worden war, sagte er:
»Ich schwöre Ihnen, das ist die Stimme von Leo Schweikert! Ich bin hundertprozentig sicher!«
Die Stewardeß kam und fragte, ob sie noch ein Getränk bringen dürfe. Er bat um Kaffee, blickte dann wieder auf das Foto. Wenn er noch in México ist, dachte er, und dieses Bild hängt ab morgen in allen Hotels und Flughäfen, in allen Geschäften und Amtsstuben, auf jedem Bahnhof, auf jedem Markt und an unzähligen Hauswänden, dann hat er keine Chance! Und er dachte: Diese dunklen, melancholischen Augen! Dieses kluge Gesicht! Sieht so ein Ganove aus? Ich verspreche dir, Petra, ich werde versuchen, mit ihm zu reden! Wie seine Kindheit wohl war, seine Schulzeit und sein Studium? Wann mag es sich herangebildet haben, dieses weite Gewissen, in dem so furchtbare Dinge wie Mord und Erpressung Platz finden, und das daneben noch Raum läßt für den Vorsatz, sich von dem Gewinn ein schönes Leben zu machen? Denn das wird ja wohl sein Ziel gewesen sein: sich in irgendeinen Winkel der Welt zurückzuziehen und dort die Beute zu genießen. Und sie ist ja auch wirklich gigantisch, erst recht, wenn sie nun vielleicht nur noch durch zwei geteilt werden muß.
Er packte die Akte ein, warf einen Blick aus dem Fenster. Es waren keine Wolken mehr da. Offenbar hatte die Maschine inzwischen westlichen Kurs genommen, denn man konnte schon die graugrünen Hänge der Sierra Madre Oriental sehen. Aber auch wir, dachte er und legte die Hand auf den kleinen Koffer, haben gute Beute gemacht!
8.
Felix Lässer erwachte früh. Wie immer, ging er als erstes auf den Balkon. Die Sonne stand noch hinter den Hügeln, aber der Himmel war schon leuchtend blau. Es würde wieder ein schöner Tag werden. Unten waren die mozos damit beschäftigt, das Schwimmbecken zu säubern und die Liegestühle aufzustellen.
Fünf Tage waren seit seinem Einzug ins EL CANO vergangen, und mit jedem neuen Erwachen hatte sich in ihm das Gefühl verstärkt, die Freunde und er seien über den Berg.
Er kehrte ins Zimmer zurück, ging ins Bad, duschte, zog sich an. Er überlegte, ob er den room service anrufen oder im Restaurant frühstücken solle, dachte dann: lieber nach unten fahren! Vielleicht sind ein paar neue Gesichter da. Es wird Zeit, den Sex aus der Brieftasche zu beenden und umzusteigen auf Frauen, die nicht scharf sind aufs Geld, sondern auf die Sache. Ich hätte dann auch noch die Sauberkeit und den Komfort meines Hotels.
Wie immer, sicherte er seinen Handkoffer, und dann versteckte er ihn im Wandschrank unter den Ersatzdecken.
Er verließ das Zimmer,
Weitere Kostenlose Bücher