1986 Das Gift (SM)
ging zu den Fahrstühlen, mußte etwa zwei Minuten warten, bis eine Kabine kam.
Er trat ein, grüßte zwei sportlich gekleidete ältere Männer, von denen der eine an der Wand lehnte und den Griff seines Tennisschlägers neu umwickelte, das Racket dabei schräg nach oben haltend. Und da geschah es, daß Felix Lässers heitere Stimmung umschlug in Entsetzen. Durch die Maschen der Bespannung hindurch sah er an der getäfelten Wand, oberhalb der rechten Schulter des Mannes, ein Schwarzweißfoto, das seinen Atem zum Stocken brachte. Es war eine Aufnahme von Richard! Er mußte sich stützen, lehnte sich, gegenüber dem immer noch mit seinem Schläger beschäftigten Hotelgast, an die Wand und versuchte, den Anschein von Gelassenheit zu erwecken. Er verbarg seine Hände, die zu zittern begonnen hatten, hinter dem Rücken und senkte den Blick.
Der Lift hielt. Eine junge Frau stieg zu. Felix Lässer sah sie nur flüchtig an, blickte dann wieder nach unten. Einen Moment lang keimte die Hoffnung in ihm auf, er sei einer Täuschung erlegen und eine zufällige Ähnlichkeit habe ihn zum Narren gehalten.
Er hob den Blick. Da die Frau in Türnähe stand, waren die Sichtverhältnisse unverändert. Ja, es war Richard! Zwar verdeckte die Schulter des Tennisspielers einen Teil des Kinns, aber was Felix Lässer sah, genügte: Haar, Stirn, Augen, Nase, Mund, Gesichtsform. Er hatte keinen Zweifel.
Der Fahrstuhl hielt, und die drei stiegen aus. Sofort drückte er den Knopf. Die Tür schloß sich wieder. Nun erst sah er das ganze Ausmaß der Katastrophe. Was da an der Wand hing, war kein einzelnes Foto von Richard Wobeser, sondern ein Plakat mit fünf Köpfen. Er las die über das etwa fünfzig mal achtzig Zentimeter messende Plakat gezogene Textzeile: »Diese fünf Männer sind vermutlich die Attentäter von Acapulco!«
Links oben sah er Richard, daneben Leo. Darunter waren es drei Köpfe: Georg, Fernando und Raul. Unter den Fotos die fettgedruckten Namen. Ganz unten standen der Hinweis auf eine Belohnung und die Aufforderung, der Polizei bei der Suche nach den mutmaßlichen Tätern behilflich zu sein.
Wieder hatte er sich an die Wand gelehnt. Sein Gesicht, sein Nacken, seine Hände waren naß von Schweiß. Dieses Plakat hängt bestimmt nicht nur hier! dachte er.
Da vier der Fotos die Registraturnummer der erkennungsdienstlichen Behandlung führten, wußte er, daß sie aus Deutschland stammten. Er drückte erneut auf den Knopf, fuhr wieder abwärts, verspürte plötzlich Brechreiz. Als gleich darauf der Fahrstuhl stoppte, stürmte er an dem mit einem gefüllten Tablett eintretenden Kellner vorbei auf den Flur, suchte nach einer Toilette, fand keine und erbrach sich in einen Blumenkübel, mitten hinein in das Bündel der trichterförmig angeordneten Gladiolenstiele.
Ein kleines, etwa sechsjähriges Mädchen stellte sich neben ihn. »Estás enfermo!« Bist du krank? Er antwortete nicht, wischte sich über den Mund, kehrte zu den Aufzügen zurück, mußte lange warten.
Er wußte nicht, in welchem Stockwerk er sich befand, erfuhr es erst, als der Fahrstuhl kam. In der Zahlenreihe über der Tür war die Vier aufgeleuchtet. Er trat ein, drückte auf den Knopf. Es war eine andere Kabine. Er erkannte es daran, daß dicht neben dem Plakat ein Stück der Täfelung erneuert worden war. Noch einmal schoß es ihm durch den Kopf: Das hängt jetzt überall! Und gleich darauf war natürlich auch die verzweifelte Frage da: Was sollen wir tun?
Der Fahrstuhl hielt. Er stieg aus, hastete über den Flur, öffnete sein Zimmer, schloß hinter sich ab und lief zum Telefon. Er wählte die Nummer des HYATT CONTINENTAL, hatte sich wenigstens so weit gefangen, daß er genau wußte, was er zu sagen, vor allem aber, was er nicht zu sagen hatte.
Er nannte der Telefonistin die Zimmernummer, und kurz darauf hörte er Leos verschlafene Stimme:
»Bueno.«
Er hielt es für möglich, daß Leos Telefon überwacht wurde, sagte sich aber: Entweder hat man ihn schon im Visier, und dann richtet das Telefonat zumindest keinen zusätzlichen Schaden an, oder er ist noch unentdeckt, und dann hört niemand mit.
»Paß auf!« sagte er. »Ich bin’s, Herbert. Du mußt sofort aufstehen, mußt dir Pässe, Geld und Waffe einstecken und das Hotel verlassen! Für immer. Keinen Koffer mitnehmen! Nicht abmelden! Beim Weggehen das Gesicht verborgen halten! Hut und Sonnenbrille. Von euch allen hängen Plakate aus; nur ich bin nicht drauf. Bestimmt hängen die Dinger auch in deinem Hotel. Sei
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