Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1986 Das Gift (SM)

1986 Das Gift (SM)

Titel: 1986 Das Gift (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
Vom Netzwerk:
wieder zusteigen. An den Zahlstellen der Autobahn machen wir’s genauso. Da vor allem hocken die Bullen. Wichtig ist auch, daß wir den Scooter und die anderen Sachen irgendwo vergraben.
Er hatte, bevor er das Auto verließ, sein Fernglas in das Etui des Fotoapparates gesteckt, ein kleines, handliches LeitzTrinovid-Glas, das nicht viel größer war als eine Zigarettenschachtel. Jetzt nahm er es heraus, setzte es an die Augen, suchte das Meer ab, sah nur das archaische Bild der gegen das Ufer drängenden Brandung. Aber er war nicht entmutigt. Sie hatten im Hinblick auf die ihnen unbekannten Strömungsverhältnisse Abweichungen im Zeitplan und auch örtliche Verschiebungen einkalkuliert. Wahrscheinlich, sagte er sich, sehe ich sie gar nicht aus dem Wasser auftauchen, sondern sie kommen wie nächtliche Strandwanderer plötzlich von links oder rechts auf mich zu.
Er setzte das Glas ab, steckte es wieder ins Etui, sah auf die Uhr. Eine knappe halbe Stunde fehlte noch bis Mitternacht. Er rechnete nach: Kurz vor elf Uhr sind sie gestartet. Es ist eine Strecke von ungefähr zweieinhalb Kilometern, und sie haben sich vorgenommen, nicht die maximale Geschwindigkeit von fünfeinhalb Kilometern pro Stunde aus dem Elektromotor herauszuholen, sondern sich eine Kraftreserve zu sichern für den Fall, daß da, wo sie an Land gehen wollen, plötzlich ein Suchtrupp marschiert und sie ihre Fahrt verlängern müssen. Also, es besteht kein Grund zur Unruhe!
Zu dumm, dachte er, daß der Landsitz in Cuernavaca nun entfällt! Hätte Leo ihn doch unter falschem Namen gemietet! Na ja, vielleicht ging das nicht, vielleicht kannte er die Leute von seiner Hochzeitsreise her. Und die Fabrik muß er sich auch aus dem Kopf schlagen, denn der Chemiker Dr. Leo Schweikert kann von nun an nirgendwo mehr in Erscheinung treten. Auch Richard muß umdisponieren, kann nicht mehr mit einer Luftflotte in den Kordilleren auftauchen, jedenfalls nicht da, wo er früher war. Beide müssen sich verkriechen, müssen sich für alle Zeit eine andere Identität zulegen. Ich bin der einzige, der in seine alte Haut zurückdarf!
Wieder holte er das Fernglas hervor, setzte es an die Augen, schwenkte es nach links. Doch dort waren die Felsen im Weg, und so stand er auf, ging dicht an den Flutsaum heran, hob das Glas erneut an die Augen und suchte das Meer nach Polizeibooten ab. Er entdeckte nur zwei Lichter, suchte weiter, und da hörte er plötzlich von rechts den Ruf, hörte ihn ganz schwach herausgefiltert aus dem Tosen der Brandung. Er drehte sich um, sah einen schwarzen Punkt auf sich zukommen, und dann hörte er noch einmal das Wort, das sie vereinbart hatten: »Golondrina!«
»Golondrina!« rief er zurück.
Daß er nur eine schwarze Gestalt näherkommen sah, beunruhigte ihn nicht. Der andere wird beim Scooter geblieben sein, dachte er, oder er sucht mich in der entgegengesetzten Richtung. So lief er diesem einen entgegen, schloß ihn in die Arme. Dann nahm er ihm die Taucherbrille, die Preßluftflasche und die Tasche ab. Es war Leo, und er ging, sobald er von seinen Lasten befreit war, in die Knie. Felix tat das gleiche, umarmte den Freund ein zweites Mal. Erst jetzt hörte er den keuchenden Atem.
»Wo ist Richard?« fragte er.
»Weiß nicht. Hab’ ihn verloren.«
»Wann? Vor oder nach der Landung?«
»Vorher.« Mit einer schwachen Geste wies Leo aufs Meer. »Ungefähr … zweihundert Meter … weit draußen.«
»Wie kam das?«
»Es war … mörderisch, das Ganze! Ein wahnsinniger Sog, mal seewärts, mal landwärts. Wahrscheinlich hat er einen Moment lang … nicht aufgepaßt.«
Leo ließ sich vornüber in den Sand fallen, keuchte noch immer. Felix öffnete ihm den Anzug.
Nach zwei, drei Minuten richtete Leo sich auf. »Wir müssen ihn suchen«, sagte er. Sein Atem war ruhiger geworden.
»Ja«, antwortete Felix. »Wo hast du den Scooter?«
»Da!« Leo zeigte nach rechts, den Strand entlang.
»Er liegt neben einem Felsbrocken.« Er stand auf, machte ein paar Schritte.
»Geht’s schon wieder?«
»Ich bin okay.«
Sie stapelten die abgelegten Sachen im Sand, begannen mit der Suche, gingen nach rechts, stießen eine Viertelstunde später auf den Scooter. Richard fanden sie nicht.
So machten sie kehrt. Felix zog den Scooter im Sand hinter sich her.
»Da liegt das Lokal«, sagte er und zeigte auf die Lichter.
»Nachher besorg’ ich da was zu trinken.«
Neben den abgelegten Sachen ließ er den Scooter zu Boden fallen, und dann suchten sie am linker Hand gelegenen

Weitere Kostenlose Bücher