1986 Das Gift (SM)
still. Er kehrte zurück.
Sie legten Richard auf den Rücksitz. Die Flasche fand im Kofferraum Platz.
Als sie losfuhren, war es fast drei Uhr. Sie hatten sich beide eine Waffe in die Tasche gesteckt, denn sie mußten darauf gefaßt sein, daß ein Streifenwagen auftauchte. Mit einer solchen Fracht gab es keine andere Möglichkeit als sofortige Gegenwehr.
Bis Atoyac begegneten ihnen nur wenige Fahrzeuge. Es waren Laster, die sie lange vorher an der bunten Lichterfülle als solche erkannt hatten.
Sie durchfuhren den schlafenden Ort, bogen rechts ab, atmeten auf. Die Küstenstraße war gefährlicher als eine in die kargen Berge führende Landstraße zweiter Ordnung.
Leo zündete zwei Zigaretten an, gab Felix eine. »Sieht so aus«, sagte er, »als wären die Götter, diese Arschlöcher, gegen uns. Erst Fernando, dann Georg, dann Raúl und nun auch noch Richard!«
13.
Hundert Kilometer waren sie schon gefahren, ohne angehalten worden zu sein, und das machte sie ein wenig ruhiger, wirklich nur ein wenig, denn die Ereignisse der letzten zwanzig Stunden, von der Entdeckung der Fahndungsplakate bis zu Richards Tod, steckten ihnen in den Knochen.
»Der eigentliche Gegner«, sagte Leo, »war nicht die Polizei, sondern das Meer. Es hat uns regelrecht gebeutelt, hat uns hin und her geschleudert, vor allem, als es ans Ufer zurückging. Aber der schlimmste Augenblick war, als ich merkte, daß Richard nicht mehr da war. Ich kriegte es nicht gleich mit, denn es war ja stockdunkel.«
»Und wie hast du es dann gemerkt?«
»Am Scooter. Das Ding driftete plötzlich zu mir hin. Vorher hab’ ich ständig gespürt, daß Richard an der anderen Seite hing, aber nun war das Gerät nicht mehr ausbalanciert. Es reagierte sofort auf jede meiner Bewegungen, was es vorher nicht getan hatte.«
»Was hast du dann gemacht?«
»Ich geriet in Panik. Wirklich, es war eine richtige Panik. Es ist eigenartig, natürlich denkst du erst mal an die Gefahren für ihn, fragst dich: Wie soll er ohne das Ding zurechtkommen? Treibt er nun raus? Hat ihn vielleicht ein Hai erwischt? All das geht dir im Kopf herum, aber dann ist da auch noch was anderes, etwas, was dich selbst betrifft, eine grauenhafte Einsamkeit, das Gefühl, verlassen zu sein. Ich weiß nicht, wie ich es dir beschreiben soll. Vielleicht so: Einen großen Teil deiner Ausdauer holst du dir aus dem Bewußtsein, daß da noch jemand ist, der mit dir schwimmt, der – wie du – seine Hand am Griff hat und sich – wie du – durch dieses unheimliche Meer ziehen läßt und dessen Leben – wie dein eigenes – buchstäblich an diesem kleinen, schlanken Torpedo hängt. In der Nacht, als wir mit dem Geld unterwegs waren, hab’ ich davon nichts gespürt. Es muß daran gelegen haben, daß die Bucht ungefährlich ist. Da kann man auch ohne Scooter wieder an Land kommen, was vom offenen Meer aus kaum zu schaffen ist.«
»Hast du nach ihm gesucht?«
»Natürlich! Ich hab’ sogar minutenlang das Licht angehabt und bin hin und her gefahren und immer wieder aufgetaucht. Und ich hab’ auch über Wasser Lichtzeichen gegeben, aber nicht in Richtung Acapulco. Ich weiß nicht, wie lange ich gesucht habe. Irgendwann ging mir auf, daß die Energie des Scooters bald verbraucht sein mußte. Da hab’ ich dann nur noch zwei Runden gezogen, eine über, eine unter Wasser, und schließlich aufs Ufer zugehalten.«
»Was kann es denn bloß gewesen sein, das ihn zwang, den Griff loszulassen?«
»Keine Ahnung. Ein Hai jedenfalls war es nicht. Dann hätten wir Richard, wenn überhaupt, so nicht vorgefunden. Vielleicht hat er einen Schwächeanfall gehabt oder einen Krampf, oder er hat sich erschrocken, weil er mit irgendwas in Berührung gekommen ist, und vielleicht hat er das für einen Hai gehalten. Da draußen schwimmt ja noch mehr herum, was um einiges größer ist als ’ne Makrele. Oder er hat für einen Moment nicht aufgepaßt, und ihm ist bei dieser gewaltigen Strömung ganz einfach die Hand vom Griff gerutscht.«
»Ihr hättet euch an dem Ding festschnallen sollen.«
»Ja, hinterher ist man klüger.«
Sie hatten das Tiefland längst verlassen, fuhren fast ständig bergauf. Links sahen sie, wenn auch nur schwach gegen den Himmel abgehoben, die Silhouette des dreieinhalbtausend Meter hohen Cerro Teotepec , und der Höhenzug rechts von ihnen mußte nach der Karte die Sierra de la Brea sein. Mehrmals hatten sie angehalten, um nach einem Platz zu suchen, an dem sie ihre verräterische Fracht vergraben könnten, zu der
Weitere Kostenlose Bücher