1986 Das Gift (SM)
nun auch noch ein Toter gehörte. Doch überall war der verkarstete Boden hart und steinig gewesen. Und sie hatten keinen Spaten, denn wegen der Kontrolle am Stadtrand hatte Felix nur zwei harmlos aussehende Strandschaufeln mitgenommen.
»Ich glaube«, sagte Leo, als sie jetzt an einer tiefen Schlucht entlangfuhren, »wir sollten es anders machen. Das Vergraben würde uns Stunden kosten. Guck dir mal die Hänge an! Sie sind dicht bewachsen mit trockenem Gebüsch, ich bin sicher, da kraxelt in hundert Jahren keine Menschenseele herum. Was hältst du davon, wenn wir die Sachen einfach runterkippen?«
»Und Richard?«
»Ihn auch. Ich hätte ihn gern begraben, aber wo und wie? Der Boden ist hart wie Zement. Da sind uns im Handumdrehen die Schaufeln abgebrochen, und außerdem haben wir nicht mehr viel Zeit. Es wird bald hell.«
»Mensch, Leo! Womöglich bleibt was in den Zweigen hängen, zum Beispiel ’ne Preßluftflasche, und bei Tage blinkt sie in der Sonne! Irgendein Autofahrer könnte das sehen, und dann geht er vielleicht hin und guckt nach. Ich finde, wir täuschen eine Panne vor, und dann schleppen wir alles zehn, zwölf Meter den Abhang runter und verstecken es unter den Büschen.«
»Na gut.«
Sie hielten an, stiegen aus und machten sich an die Arbeit. Der Hang war zwar steil, aber wegen des dichten Bewuchses bestand keine Absturzgefahr. Nach zwanzig Minuten hatten sie den Scooter und das andere Gerät versteckt. Kein noch so wachsames Auge würde es von der Straße aus entdecken.
Als letztes holten sie den Toten aus dem Auto, zogen ihn durch das widerspenstige Buschwerk, bedeckten ihn mit Leos Taucheranzug.
Als sie wieder am Straßenrand standen, leuchtete Leo den Hang hinunter. »Nichts zu sehen!« sagte er.
»Was für Tiere gibt es hier eigentlich?« fragte Felix.
»Skorpione, Schlangen, Eidechsen, Ameisen.«
»Und die größeren?«
»Geier vielleicht.«
Plötzlich hörten sie Motorengeräusch, sahen gleich darauf die Lichter eines Autos. Es kam von den Bergen. Rasch trat Felix an die geöffnete Kühlerhaube und beugte sich über den Motor. Leo sprang ins abschüssige Dickicht.
Der Wagen hielt. Felix richtete sich auf. Mit Erleichterung sah er, daß es kein Polizeifahrzeug war. Der Mann stieg aus, grüßte ihn auf englisch, und dann fragte er:
»Kennen Sie sich hier aus?«
»Ein bißchen«, erwiderte Felix.
»Komme ich auf dieser Straße nach Acapulco?«
»Ja. Sie brauchen nur immer weiterzufahren, dann stoßen Sie bei Atoyac auf die Küstenstraße. In die biegen Sie nach links ein, und dann sind es noch etwa achtzig Kilometer.«
»Gott sei Dank! Haben Sie eine Panne? Kann ich Ihnen helfen?«
»Nein, danke. Ist schon okay. Da war mit meinen Lampen etwas nicht in Ordnung.« Felix schloß die Kühlerhaube, trat an die Tür, griff durchs geöffnete Fenster ans Armaturenbrett, schaltete das Licht ein. »Sehen Sie, es funktioniert wieder.«
»Wollen Sie nach Mexico City?«
»Nein.«
»Da haben Sie Glück. Ich komme nämlich gerade von da. Dachte, ich würde es in fünf, sechs Stunden schaffen. Irrtum. Allein bis Iguala brauchte ich über vier Stunden. Bin elfmal kontrolliert worden auf dem kleinen Stück. Da hatte ich die Nase voll, hab’ auf meine Karte gesehen und bin in Milpillas abgebogen.«
»Elf Kontrollen?«
»Ja. Immer noch wegen dieser Dioxin-Sache. Und es sind ja nicht nur die Kontrollen, sondern durch sie entstehen die langen Staus. Wie sieht es denn auf dieser Route aus?«
»Ich bin nur einmal kontrolliert worden, am Stadtrand von Acapulco.«
»Gott sei Dank!« sagte der Mann noch einmal, und dann fuhr er fort: »Sie wollen wohl nur bis Milpillas?«
»Nein, ich fahre wieder zurück nach Acapulco, warte nur auf den Sonnenaufgang. Ich will den Berg fotografieren, den Teotepec.«
»Dann wünsche ich Ihnen schöne Bilder! Vielen Dank für die Auskunft!«
Der Mann stieg in seinen Wagen und fuhr weiter.
Leo kam heraufgeklettert. »Hab’ alles mitgekriegt«, sagte er, »elf Kontrollen!«
»Wir müssen umdisponieren«, sagte Felix.
»Ja, aber viel gibt’s da nicht mehr zu disponieren.«
»Mußt dich irgendwo in den Bergen verkriechen.«
Sie setzten sich in den Wagen. Felix schaltete die Lampen wieder aus.
»In den Bergen also«, wiederholte Leo. »Und dann?«
»Warten.«
»Warten! Warten! Wie lange denn?«
Er bekam keine Antwort, fuhr daher fort: »Felix, wir dürfen uns nichts vormachen! Seit gestern morgen hat die Lage sich drastisch verändert. Wir sitzen fest.«
»Aber wir haben das Geld und laufen
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