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1986 Das Gift (SM)

1986 Das Gift (SM)

Titel: 1986 Das Gift (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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verborgene Zuleitung entdeckt. Der Tatbestand lag auf der Hand: Die Firma Hollmann hatte, indem sie die bei der Extraktion von Coffein anfallenden schädlichen Abfallprodukte in den See leitete, in grober Weise gegen den Paragraphen 324 des Strafgesetzbuches verstoßen. Die betroffenen Familien reichten Klage ein, und es kam zum Prozeß. Anfangs hatte die Firma wegen des Umstandes, daß bis jetzt Verstöße gegen das Umweltstrafrecht den Staatsanwaltschaften nur äußerst selten bekannt geworden waren und noch seltener zur Verurteilung geführt hatten, auf Freispruch gehofft. Der Anwalt der Hollmanns hatte erklärt, das Umweltstrafrecht sei von der Politik der verschiedenen bundes- und landesrechtlichen Gesetz- und Verordnungsgeber abhängig und belasse daher weite Spielräume bei der Festsetzung des Strafmaßes. Eben diese gelte es zu nutzen. Doch er irrte sich. Die Aufdeckung des versteckt angelegten Ablaufkanals erlaubte hinsichtlich des Vorsatzes keinerlei Zweifel, ja, nach Meinung des Gerichtes war sogar eine besondere Tücke zu erkennen. Dieser Umstand wog schwer. Die gegnerischen Anwälte plädierten auf einen hohen Schadenersatz, aber bei einem solchen wollte der Staatsanwalt es nicht bewenden lassen.
    Die 80 000 Mark Schmerzensgeld, die den Geschädigten schließlich zugesprochen wurden, waren also nur die eine Seite der Sühne. Die andere war die drohende Freiheitsstrafe, die sich entsprechend dem für solche Verstöße geschaffenen Strafrahmen im Höchstfalle auf fünf Jahre belief. Aber wer kam für diese Strafe in Betracht? Wer war verantwortlich und gehörte infolgedessen auf die Anklagebank, der Firmen-Inhaber oder sein Chef-Chemiker? Schweikert verwies auf die Hierarchie der Belegschaft, in der er selbstverständlich unterhalb der Position seines Schwiegervaters rangiere. Hollmann indes machte geltend, daß die Ressortkompetenz kein hohler Begriff sei und er schließlich alle Belange der Chemie in die Hände seines Schwiegersohnes gelegt habe. Damit trage dieser die Verantwortung, zumal er selbst nichts weiter sei als ein schlichter Kaufmann.
    Hollmanns Hinweis auf seine »schlichte Rolle« hatte Schweikert besonders aufgebracht. Er bekannte daraufhin, von der Firmenleitung ausdrücklich angewiesen worden zu sein, unter Mißachtung der Gesetze einen billigen Weg der Entsorgung zu wählen, doch Julius Hollmann antwortete:
    »Selbst wenn ich irgendwann einmal geäußert haben sollte, daß bei allen Maßnahmen die Sparsamkeit oberstes Gebot sein müsse, so kann man mir daraus keinen Vorwurf machen. Sparsamkeit ist nun mal ein kaufmännisches Prinzip, und sie den Angestellten gegenüber von Zeit zu Zeit erwähnen, heißt doch nicht, sie zum Verbrechen aufzufordern!« Und dann hatte er sich nicht gescheut, den Untergang der TITANIC ins Feld zu führen, hatte erklärt: »Zwar haben die Herren der CunardWhite-Star-Line dem Kapitän gesagt, daß er schnell fahren müsse, daß Zeit Geld sei und das Blaue Band einen PrestigeGewinn für die Reederei darstellen würde, aber sie werden ihm doch nicht befohlen haben: ›Setzen Sie das Leben Ihrer Passagiere und Ihrer Besatzung aufs Spiel und kümmern Sie sich gefälligst nicht um die Eisberge!‹ Sie konnten ihm gar nichts befehlen, weil sie nicht das Kommando über das Schiff hatten. Also: Schiff oder Chemie-Werk, nicht der Eigner, sondern der Fachmann trägt die Verantwortung.«
    Natürlich hatte es im Ermessen der Justiz gelegen, festzustellen, wer denn nun der Schuldige sei, und sie entschied sich für den Chemiker. Er wurde, unter Anrechnung der Untersuchungshaft, zu anderthalb Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Er hatte befürchtet, nun auch noch die 80 000 Mark Schmerzensgeld zahlen zu müsssen, doch in diesem Punkt befand das Gericht, der durch die billigere Entsorgung erzielte Mehrgewinn sei der Firma zugeflossen und daher müßten die Ansprüche der Kläger aus diesem Topf, wie der Richter formulierte, befriedigt werden.
    Schweikert stand nun doch auf und kochte sich einen Kaffee. Ich zahle es ihnen heim, dachte er, der ganzen verfluchten Sippe! Wenn ein paar Jahre ins Land gegangen sind, erscheine ich mit meinen Millionen in Deutschland, errichte – den Hollmanns so nahe wie möglich – ein Chemie-Werk und stelle genau das her, was sie herstellen, nur billiger und besser. Und dann vernichte ich diesen arroganten Clan, der mich jahrelang benutzt und dann der Meute zum Fraß vorgeworfen hat!
    Er setzte sich an den kleinen Tisch, trank Kaffee, rauchte.

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