1986 Das Gift (SM)
Und wenn sie am Ende sind, kaufe ich ihren Betrieb! Ja, ich zahle es ihnen heim! Margot wird vor mir zu Kreuze kriechen, und dann wird es für mich ein Vergnügen sein, einfach über sie hinwegzusehen!
Seine Gedanken wandten sich Felix Lässer zu, seinem Freund, der in Kürze nach México fahren würde, um das Terrain zu sondieren. Bei ihrem letzten Zusammentreffen im Besucherraum der Haftanstalt hatten sie das Projekt Punkt für Punkt besprochen. Nicht weniger als acht konkrete Aufgaben hatte er Felix übertragen, von denen eine so wichtig war wie die andere. Er sollte die Yacht chartern, die sie für ihr Unternehmen brauchten, ein geeignetes Quartier an Land suchen, die Plätze bestimmen, an denen sie die Dioxinfässer deponieren würden, einen Lkw und einen Pkw besorgen, sich einen Überblick über die jüngsten Umsätze der großen Hotels verschaffen, sollte erkunden, wo die Lautsprecher angebracht werden konnten, mittels derer sie die Bevölkerung informieren würden; er mußte in Veracruz, Tampico und Coatzacoalcos Kontakt zum Zoll aufnehmen, denn für die Anlandung der Fässer kam nur einer dieser drei atlantischen Häfen in Frage, und schließlich hatte er es übernommen, mit aller Vorsicht einen oder zwei mexikanische Helfer zu engagieren. Das war ein ganzes Bündel von Maßnahmen, deren Durchführung Umsicht und Ausdauer erforderte.
Leo Schweikert dachte auch über den sechsten Komplicen nach, der im Grunde die Hauptfigur war: Mister Di.
Seltsam, überlegte er, man kennt das Teufelszeug schon über ein Jahrhundert, und seit Beginn der Großproduktionen vor vierzig Jahren fällt es sogar in Mengen an; auch weiß man schon lange, wie schädlich es ist; aber erst jetzt hat es seinen Platz gefunden im Bewußtsein der Menschen, erst jetzt bekommt es seine beunruhigenden Beinamen wie »Ultragift« und »Killersubstanz« und »Chemische Zeitbombe« oder gar, wie Robert Jungk es nennt: »Die neue Pest«. Vor zwanzig Jahren hätten wir mit unserem Coup keinen müden Dollar kassiert. Heute weiß jeder, der sein Haus und seinen Garten versorgt, daß er ständig Gefahr läuft, Mister Di aufs innigste teilhaben zu lassen an seinem Leben und damit vielleicht auch an seinem Sterben. Der Bursche hat fast überall Zutritt, sei es über die Farben und Lacke, mit denen ich meine Wände und Möbel bearbeite, sei es über die Düfte, die ich in meinem Badezimmer versprühe, oder über die trügerische Frische von Obst und Gemüse. Er ist immer dabei. Oder zumindest: Er kann immer dabei sein. Und wenn der US-Chemie-Riese DOW CHEMICAL in seiner Beschwichtigungskampagne nachzuweisen versucht, daß es Dioxin gibt, seit Prometheus den Menschen das Feuer brachte, also praktisch bei jedem Verbrennungsvorgang, so liegt in dieser Feststellung noch lange kein Trost. Außerdem: Prometheus hat sicher nicht damit gerechnet, daß die Menschen irgendwann einmal Verbrennung in so gigantischem Ausmaß durchführen würden, wie sie es heute tun. Tatsache ist – und darin liegt unser Vorteil –, daß die Gefährlichkeit von Mister Di sich ihren Platz in den Kolumnen der Weltpresse erobert hat, und das nicht erst seit Seveso.
Ein paar Zahlen fielen ihm ein, denen er erst kürzlich in der »Langen Liste« von Weidenbach, Kerner und Radek wiederbegegnet war: mehr als zweihundert Erkrankungen in der USFirma MONSANTO 1949; Erkrankung der gesamten Belegschaft der New Yorker Firma HOOKER im Jahre 1956; BOHRINGER INGELHEIM mit etwa dreißig Erkrankungen und einem Toten in der Zeit von 1952 bis 1953; im Jahre 1960 gab es einen Toten und zahlreiche Erkrankungen bei DIAMOND SHAMROCK in den USA; drei Jahre später hatte die Amsterdamer Firma PHILIPS DUPHAR über hundert Erkrankungen zu verzeichnen; bei der DOW CHEMICAL in Michigan gab es 1964 dreißig Krankheitsfälle, und in den Jahren 1972/1973 lautete die Opferbilanz der österreichischen CHEMIE-LINZ: fünfzig Erkrankungen. Auch im Ostblock und in Japan hatte es Dioxin-Vergiftungen gegeben. Der dramatische Zwischenfall von Seveso war also wirklich nicht die erste Betriebspanne.
Dort wurden nach der Explosion bei der ICMESA vor allem die lombardischen Ortschaften Cesano, Maderno, Dessio, Meda und eben Seveso von einer Giftwolke überzogen, in der auch das gefährliche 2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-p-dioxin enthalten war. Zwei Tage später setzte das Kleintiersterben ein: Hunde, Kaninchen, Hühner verendeten, und was am Leben blieb, mußte wegen wahrscheinlich erfolgter Kontamination getötet werden.
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