1986 Das Gift (SM)
Fortschrittlichen erlaubt. Wehe, du hältst dich weder bei den einen noch bei den anderen auf und tust es trotzdem! Dann geht’s dir an den Kragen. So wie uns damals. Dabei hätte ich schwören können, die beiden Polizisten hatten, als sie auf uns zukamen, ein ziemlich fragwürdiges Erfolgsgefühl.«
»Wohl zwangsläufig«, erwiderte Petra, »wie es immer dann passiert, wenn sich in ein und demselben Kopf zwei gegensätzliche Perspektiven ins Gehege kommen. Und Nacktheit ist nun mal eine zwittrige Angelegenheit. Ärgernis und Vergnügen, je nachdem. Apropos, bist du hier eigentlich auf Abenteuer eingestellt?«
»Sagen wir mal so: Ich warte nicht darauf. Wenn es sich aber anbahnt und der Mann mir gefällt, mach’ ich mit. Und du?«
»Du weißt ja, ich bin in der Beziehung ein bißchen altmodisch. Für mich hat Sex immer noch was mit Liebe zu tun. Oder besser andersherum: Wenn die Liebe fehlt, kann es den Sex nicht geben.«
»Der Typ im Flugzeug, dieser Spanier, hatte es auf dich abgesehen, nicht?«
»Das kann man wohl sagen!«
»Ganz passabler Bursche, fand ich.«
»Ja. Er startet heute zu einem Segeltörn.«
»Von eurem Gespräch hab’ ich natürlich kaum was verstanden; aber am Anfang redete er deutsch, erstaunlich gut, wie mir schien.«
»Er studiert es. An der Universität von Santiago de Compostela. Da war ich übrigens auch mal, ganz am Anfang meines Studiums; hab’ da einen Sprachkursus für Ausländer mitgemacht, und so konnten wir uns über die Stadt unterhalten und über Galicien. Na ja, der fällt also weg. Macht aber nichts. Ein anderer gefällt mir sowieso viel besser. Der Mann von diesem Hotel, der uns gestern abholte, der Deutsche.«
»Was glaubst du, wie alt er ist?«
»Ich schätze Mitte Dreißig. Aber in der Art, wie er redet und sich bewegt, wirkt er eher wie fünfundzwanzig. Vorhin, als ich im Frühstücksraum auf dich wartete, sah er ein paarmal zu mir rüber, und als er etwas später an meinem Tisch vorbeikam, sagte er: ›Wie schön, daß Sie sich fürs REFUGIO entschieden haben. Bei dem harten Konkurrenzkampf kann ich eine solche Attraktion gut gebrauchen.‹«
»Okay, er hat also schon mal angebissen.«
»Da liegst du sprachlich nicht ganz richtig, weil ja gar kein Köder ausgelegt war.«
»Du hast gesagt, er gefällt dir, und das wird er gespürt haben. Also lag doch ein Köder aus. Aber wie dem auch sei, ›Attraktion im Konkurrenzkampf‹ ist ein tolles Kompliment. Willst du diese Basis ausbauen?«
»Mal sehen. Er hat jedenfalls etwas Besonderes, was ich an der Uni und auch im Funkhaus vermisse: die Kombination aus Träumer und Abenteurer. Viele Leute träumen ihr Leben lang von Abenteuern, aber es bleibt dabei, daß die sich in ihren Köpfen abspielen. Er dagegen scheint sie realisiert zu haben, denn er lebt seit langem hier und ist vorher zur See gefahren. Ich finde, man merkt ihm die Weitläufigkeit an.«
»Weißt aber schon ’ne ganze Menge von ihm.«
»Das hab’ ich von den anderen Gästen.«
»Womöglich ist er verheiratet, und seine Frau und seine acht Kinder hocken da oben in dem Turm. Neben dem Treppenaufgang hängt nämlich ein Schild mit der Aufschrift privado , und da ging er vorhin rauf.«
»Nach acht Kindern sieht er nicht aus.«
»War auch nicht so gemeint. Aber noch mal zu dem Spanier! Weiß er, daß wir nur drei Wochen bleiben?«
»Nein.«
»Hat er deine Adresse?«
»Auch nicht.« Petra griff nach ihrer Armbanduhr, die neben dem Sonnenöl auf dem steinernen Fußboden lag.
»Und jetzt«, sagte sie, »sollten wir uns von Manolo an den Strand bringen lassen!«
»Okay, das machen wir! Aber diesmal landen wir nicht bei der Polizei!«
9.
Im Haus herrschte Stille. Die anderen schliefen noch. Felix stand ohnehin selten vor neun Uhr auf, und Fernando und Richard hatten am Abend erklärt, sie würden nun erst mal den versäumten Schlaf nachholen. Doch in Leo tickte immer noch die mitteleuropäische Uhr, und so war er bereits um fünf auf den Beinen.
Er verließ das Haus, ging in den Garten, wollte hinunter zum Bootsschuppen. Gegenüber und rechter Hand sah er in weitem Abstand den Lichterbesatz der Hügelhänge. Abertausende von Lampen. Doch wo er ging, war es dunkel. Der schwache Mondschein reichte kaum aus, die Konturen von Büschen und Bäumen erkennbar zu machen. So tappte er unsicher an den Zweigen entlang, setzte, weil der Weg stark abschüssig war, vorsichtig einen Fuß vor den anderen und bewegte sich langsam auf das Wasser zu.
Es gab ein paar Geräusche, die ihn
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