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1986 Das Gift (SM)

1986 Das Gift (SM)

Titel: 1986 Das Gift (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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anfangs irritierten. Aus den Büschen, die er streifte, schwirrten erschrockene Vögel empor; er sah sie nicht, hörte nur ihren Flügelschlag. Dann und wann huschte ein aufgescheuchter Leguan vorüber; auch davon sah er nichts, vernahm nur das Rascheln in Laub und Gras. Von früher her wußte er, daß die ängstlichen Tiere in Erdspalten und Astgabeln schlafen. Ein Stück voraus schwappte das Wasser gegen Holz und Fels.
    Noch bevor er das Bootshaus sehen konnte, roch er es. In den starken Blütenduft und den leicht moderigen Hauch vom Meer mischte sich plötzlich die scharfe Ausdünstung des Karbolineums. Nach fünf, sechs weiteren Schritten sah er den großen schwarzen Schemen des Schuppens. Seine Füße ertasteten Treppenstufen, anfangs steinerne, dann hölzerne. Er erreichte die Tür, öffnete sie, trat ein.
    Jetzt erst zog er eine kleine Taschenlampe aus seiner Windjacke hervor, hielt schützend die Hand vor das Glas, und so, mit abgeschwächtem Strahl, leuchtete er den Raum aus. Er sah eine Ratte davonlaufen, verfolgte sie mit seinem Lichtstrahl. Sie kannte ihren Weg genau, kletterte über allerlei am Boden liegendes Gerümpel hinweg, glitt lautlos auf einem Querbalken an der Schuppenwand entlang. Dann hatte sie ihren Durchschlupf gefunden, ein handgroßes Loch im Gefüge der Bretter. Sie huschte hinein.
    Neben dem hölzernen Steg war ein Ruderboot vertäut. Zwei Riemen hingen in den Dollen; ihre stark abgewetzten Blätter lagen auf der Heckducht. Er ließ den Taschenlampenstrahl über die ganze Länge des Bootes gleiten. Etwa einen Meter hinter dem Heck befand sich die Tür zur Bucht. Sie bestand aus zwei Flügeln, die bis zur Wasseroberfläche hinabreichten und in der Mitte durch einen eisernen Riegel geschlossen gehalten wurden.
    Er ging auf dem Steg entlang bis zum Ende, beugte sich über das Wasser, zog den Riegel zurück und öffnete den an seiner Seite befindlichen Türflügel. Dann setzte er sich auf die Kante und hatte den freien Ausblick auf die bahía .
    Außer den hellen Lampen der Uferstraße und dem Geflimmer an den Hängen sah er nun auch auf dem fast schwarzen Wasser ein paar Lichter, unbewegliche und solche, die meer- oder landwärts gingen. Wir müssen, überlegte er, aufpassen, daß auch die Fischer sich an unsere Weisungen halten!
    Vor den mächtigen Quadern der Hotels CONTINENTAL und REINA DEL PACIFICO und dem eher graziös wirkenden Rundbau des HOLIDAY INN ragte der Farallón del Obispo aus dem Wasser, der Bischofsfelsen. Trotz des Nachtdunkels sah er ihn deutlich, sah ihn sozusagen auf dreifache Weise. Zum einen hatte der Felsen eigene Lichter, zum anderen wurde seine dem Ufer zugekehrte Seite von den Lampen der Hotels angestrahlt, und zum dritten schließlich zeichnete er sich noch einmal drüben am jenseitigen Hügelring ab, wo er ein kegelförmiges Stück des Lichtermeeres verdeckte.
    Für ihn war das steinerne Eiland nicht irgendein Felsen, wie die Bucht nicht eine beliebige war und die Stadt nicht eine willkürlich ausgewählte. Natürlich waren die strategisch günstigen Bedingungen von entscheidender Bedeutung gewesen, und so hätte er sich für sein sinistres Vorhaben keinen geeigneteren Platz aussuchen können als dieses pazifische Panorama; aber bei seinem Entschluß, es anderen, ähnlich beschaffenen Küstenstädten vorzuziehen, spielte eben auch das Persönliche eine Rolle. Hierher hatten Margot und er ihre Hochzeitsreise gemacht. An diesem Strand hatten sie sich gesonnt. Über diese Bucht hatten sie auf Wasserskiern ihre Kurven gezogen. Sie waren, an der Isla Roqueta vorbei, ins offene Meer zum Fischen hinausgefahren, und abends hatten sie übermütige Streifzüge durch die Bars unternommen, sich dabei nicht auf die guten Adressen beschränkt, sondern auch Spelunken in der Altstadt aufgesucht. Margot war erst zwanzig Jahre alt gewesen und aufgeschlossen für »soziale Abenteuer«, wie sie den Aufenthalt in schummerig-schmutzigen Kneipen und den Kontakt zu kaputten Typen nannte.
    Auf ihrem Balkon im CONTINENTAL hatten sie immer noch einmal den Beginn ihrer Ehe gefeiert, mal mit Dom Perignon, mal mit einem Chablis, aber dann natürlich dem Gran Cru, und – wenn es nach ihm gegangen war – auch mal mit einem Bourbon. Und geschwommen waren sie, meistens hinüber zum Bischofsfelsen. Sogar erklettert hatten sie ihn und sich auf seinem Gipfel in die Sonne gesetzt. Und einmal hatte Margot emphatisch ausgerufen: »So fest und unverrückbar soll unsere Liebe sein! Wie dieser

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