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1986 Das Gift (SM)

1986 Das Gift (SM)

Titel: 1986 Das Gift (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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Zeiten sprachen, in denen Acapulco noch ein kleiner, verschlafener Fischerort gewesen war. Aber er hielt seine Besuche bei ihnen in Grenzen. Die beiden sollten nicht den Eindruck gewinnen, er, mit seinem Optionspapier in der Tasche, sei der schon über dem Haus kreisende Geier. Mit dem Neffen, einem Silberschmied aus Taxco, der das Anwesen einmal erben würde, war alles besprochen: Jorge Vázquez, so hieß dieser Mann, wollte ihm die unbebaute Hälfte des Grundstücks verkaufen. Die beiden Frauen hatten dieses Vorkaufsrecht in ihre Testamente eingebracht.
    Er trat an das hohe, schmiedeeiserne Tor, durch dessen Gitterstäbe er seinen von den Straßenlampen beleuchteten zukünftigen Besitz einsehen konnte.
    Die Mangobäume müssen leider weg, dachte er. Sie stehen im Weg, und zum Verpflanzen sind sie zu groß. Auch die alte Jacaranda werde ich fällen müssen. Das Haus kommt an die Straße und das Schwimmbad nach hinten. Die Palmen bleiben, aber ich spanne Netze aus, damit die Kokosnüsse meinen Gästen nicht auf den Kopf fallen. Fünfundzwanzig bis dreißig Zimmer wird das Haus haben. Vielleicht nenne ich es OASIS oder CERRO ALEGRE oder einfach nur REFUGIO II. Und dann fahren Manolo und Soledad in ihre Dörfer, um innerhalb ihrer vielköpfigen Verwandtschaft nach geeignetem Personal Ausschau zu halten.
    Er setzte seinen Weg fort in Richtung Zentrum, stieß nach ein paar Straßen auf die belebte Avenida Cuauhtemoc , winkte ein Taxi heran und ließ sich zum zócalo fahren. Dort ging er in ein ihm seit vielen Jahren vertrautes Lokal. Er setzte sich ans Fenster und bestellte Tequila, zog dann seinen Kugelschreiber aus der Hemdtasche und begann, auf der Rückseite des vor ihm liegenden Papier-Sets wieder einmal die Rechnung für den geplanten Neubau aufzumachen.
    Nach einer halben Stunde, während derer er zwei Tequilas getrunken und eine große Portion kroß gebackenen Tintenfisch gegessen hatte, war er fertig. Er legte den Stift aus der Hand, blickte nach draußen. Es war kein Zufall, daß er dieses Lokal und dieses Fenster gewählt hatte, denn von seinem Platz aus konnte er nicht nur die Schiffe sehen, sondern auch jene Pier, auf die er damals, den Seesack über der Schulter, seinen Fuß gesetzt hatte. Auch jetzt wieder hatte er den Anlegeplatz der CORMORAN im Blickfeld. Er dachte an die Jahre, die er auf dem holländischen Frachter verbracht hatte, und schließlich auch an die Zeit davor.
    Da gab es ein dunkles Kapitel, seinen Wehrdienst. Er war ein ganz passabler Soldat gewesen, vor allem ein guter Schütze, hatte Ordnung und Disziplin gelernt und vierzig Kilometer lange Gepäckmärsche ohne Murren überstanden. Sein Gewehr, sein Spind und sein Bett waren bei jedem Appell in tadellosem Zustand gewesen, und doch hatte er immer wieder Reibereien mit Vorgesetzten gehabt. Das hatte vor allem an einem Unterofffizier gelegen, dem er am ersten Tag dadurch aufgefallen war, daß er ein stark duftendes Rasierwasser benutzt hatte. Der für den Empfang der neuen Rekruten zuständige Mann hatte ihn beschnuppert und dann gesagt: »Aha, einer mit NuttenDiesel! Wart’s nur ab, bald riechst du nach Latrine!« Die Äußerung war ihm so niederträchtig erschienen, daß er sich zu der Antwort hatte hinreißen lassen: »Wenn mein Rasierwasser Nutten-Diesel ist, sind Sie ein Arschloch, Herr General!«
    Das war natürlich ein grandioser Start ins Dauerzerwürfnis gewesen. In der Disziplinarverhandlung wurde er verwarnt, aber nicht bestraft, da die von ihm gewählte Bezeichnung an eine Prämisse geknüpft war, die ihn entlastete. Auch wegen der Anrede »Herr General!« hatte man ihn nicht belangt. Auf die Einlassung des Unteroffiziers, der Rekrut habe ihn dadurch lächerlich machen wollen, hatte er geantwortet, er habe sich vor seiner Einberufung mit Dienstgraden, Rangabzeichen und Uniformen nicht ausgekannt. Die ungläubige Frage des Unteroffiziers, ob er denn wirklich geglaubt habe, die frisch Gezogenen würden auf dem Kasernenhof von einem General empfangen, hatte er mit einer Gegenfrage beantwortet: »Ja, warum denn auch nicht?«
    Er trank sein Glas leer, zahlte und verließ das Lokal, trat den langen Nachhauseweg zu Fuß an. Immer noch waren seine Gedanken bei der Militärzeit. Der Streit mit dem Unteroffizier war natürlich weitergegangen, ja, eines Tages kam es sogar zu einer tätlichen Auseinandersetzung. Ort der Handlung war ein Wiesengelände am Fluß. Die Rekruten trugen Badehosen, der Unteroffizier hatte Shorts und Turnschuhe

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