1986 Das Gift (SM)
Der richtige lebte und war aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr an Bord! Sie begannen zu suchen, leuchteten jeden Winkel des kleinen Decks aus. Von Raúl Vergara keine Spur! Gesprungen war er sicher nicht; das hätten sie gehört. Andererseits war der Speerkranz nirgendwo heruntergelassen, und so mußte der Mexikaner, eine andere Erklärung gab es nicht, ganz vorsichtig vom Heck aus ins Wasser geglitten sein.
»Da!« Leo zeigte nach hinten, und nun sahen es auch die beiden anderen: An der Reling fehlte einer der Rettungsringe.
»Mach die Maschine an!« rief Leo.
Richard holte den Anker ein, was eine ganze Weile dauerte. Dann zündete er. Die Motoren dröhnten durch die Nacht.
»Wohin?«
»Er kann nicht weit sein.« Leo trat neben Richard, schaltete den Suchscheinwerfer ein und schwenkte den Bedienungshebel hin und her. Der Leuchtarm griff aus, wischte übers Wasser. Es dauerte keine Minute, da hatte der Strahl in einer Entfernung von etwa hundert Metern den Mexikaner erfaßt.
»Da!« sagte Leo. »Er schwimmt wie ein Hund und würde einen ganzen Tag brauchen bis rüber zum Farallón. Halte auf ihn zu!«
Der Abstand verringerte sich schnell, denn Raúl bewegte sich tatsächlich nur durch plumpes Paddeln vorwärts.
Als die FLECHA ihm auf etwa zehn Meter nahegekommen war, sahen die Männer, daß er sich umdrehte. Der Scheinwerferstrahl traf sein Gesicht und ließ die vor Angst weit aufgerissenen Augen deutlich erkennen. Und dann brüllte er, brüllte etwas auf spanisch, was aber keiner der drei verstand.
»Fahr erst mal an ihm vorbei«, sagte Leo zu Richard.
»Dann legst du dich quer, so daß wir ihn zur Costera hin abschirmen. Die da drüben werden scharfe Nachtgläser haben, und was jetzt passiert, dürfen sie auf keinen Fall mitkriegen.«
»In der Base Naval gibt es ein riesiges Standfernrohr«, sagte Felix.
»Also abschirmen!« wiederholte Leo.
Sie erreichten den Schwimmer. Richard fuhr noch ein kleines Stück weiter, drehte dann, und wenige Augenblicke später hatten sie Raúl an ihrer Backbordseite. Sie ließen zwei Sektionen des Speerkranzes herunter. Leo ergriff den Bootshaken, zielte mit der Spitze auf Raúl.
»Willst du ihn raufziehen?« fragte Felix.
»Nein, runterdrücken.«
Aber es gelang nicht, weil der Mexikaner sich an den Rettungsring klammerte. Immer noch einmal versuchte Leo es; dann verlor er die Geduld, holte aus, schlug zu. Doch er traf nur den Korkring. Wieder holte er aus, drehte dabei den Stab so, daß der eiserne Haken nach unten zeigte. Diesmal zielte er genauer. Der Haken traf die Schläfe. Raúl schrie einmal kurz auf, und dann hing er mit vornübergeneigtem Oberkörper im Ring.
»Ich weiß«, sagte Leo, »es ist barbarisch, aber sonst müßten wir aufgeben!« Er kniete nieder, beugte sich über die Bordwand. »Hilf mir mal!« rief er Felix zu. Sie schafften es, den Bewußtlosen vom Korkreif zu trennen, den Leo mit dem Bootshaken einholte und aufs Deck warf. Dann beugte er sich erneut hinab und drückte Raúl mit dem Stab unter die Wasserlinie.
Felix hatte den Suchscheinwerfer ausgeschaltet. Sie brauchten ihn nicht mehr; die Unterwasserleuchten genügten. In ihrem Licht sah der vom Bootshaken Niedergehaltene wie ein harpunierter Thunfisch aus. Die drei Männer starrten hinunter. Einmal noch, ganz plötzlich, zuckte der Körper. Arme und Beine griffen aus. Doch ebenso plötzlich, wie die Bewegung entstanden war, erstarb sie.
Etwa drei Minuten wartete Leo noch. Dann packte er mit dem eisernen Haken Rauls Gürtel und zog. Der Tote kam an die Oberfläche. Zu dritt hievten sie ihn, der noch schwerer war als Georg, an Bord.
Sie fuhren an ihren Standort zurück, ankerten.
»Herr des Himmels!« stöhnte Richard auf. »Innerhalb einer knappen Stunde haben wir die Hälfte der Mannschaft verloren. Kommen wir überhaupt noch klar?«
»Ja«, antwortete Leo. »Alles, was jetzt noch zu tun ist, kann man zu dritt schaffen; nur in der Vorbereitungsphase wäre es problematisch geworden.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Aber nun sind es auch drei weniger bei der Geldverteilung.«
»Ich finde«, sagte Felix, »wir sollten so schnell wie möglich Klarschiff machen.« Er zeigte auf die beiden an Deck liegenden Toten. »Laßt uns erst mal Fernando raufholen!«
Das taten sie. Und sie schafften auch die Akkus herbei.
»Nun kriegt jeder nur drei«, sagte Felix, »reicht das?«
»Einer kriegt vier«, antwortete Richard. »Außerdem können wir jedem noch eine Preßluft-Flasche umhängen, mit Wasser
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