1986 Das Gift (SM)
mochte erkannt haben, daß er sich nicht durchsetzen konnte. Er lenkte ein: »Okay, rufen wir also Georg herunter und hören uns an, was die beiden sich zu sagen haben! Aber ich fürchte, sie sagen überhaupt nichts. Nach diesem Streit werden sie sich wundern, daß wir sie da oben allein lassen. Sie werden mißtrauisch sein und den Mund halten oder sogar ’ne Show abziehen.«
»Sie wissen ja nicht«, sagte Felix, »daß wir auch Raúl in Verdacht haben. In ihren Augen haben wir Fernando also gar nicht ohne Aufsicht gelassen.«
Leo dachte über diesen Einwand nach, nickte dann.
»Gut, versuchen wir’s!«
Er ging an Deck, erklärte, in dieser vermutlich letzten Nacht vor dem An-Land-Gehen müßten alle genügend Schlaf haben. Daher würde nur zu zweit Wache geschoben, und jetzt seien Fernando und Raúl dran.
Georg ging also mit nach unten. Richard hatte den Empfänger schon eingeschaltet. Man hörte das Schwappen des Wassers, Schritte, Räuspern. Alles das wäre auch ohne das Übertragungsgerät hörbar gewesen, aber anders, verhaltener. Nun jedoch tönte es aus dem braunen Kasten, und so fragte Georg denn auch sofort: »Was ist das?«
»Meuterei auf der FLECHA«, antwortete Leo. »Wir wollen wissen, wie weit den beiden da oben überhaupt noch zu trauen ist.«
Und da kamen auch schon die ersten Worte. Aber sie waren unverfänglich: »Hast du mal ’ne Zigarette?« Das war Raúl. Gleich darauf hörte man das Feuerzeug und das »Gracias« .
Georgs Miene zeigte Betroffenheit. »Warum macht ihr das?«
»Gegen einen Verrat kann man sich nur schützen, wenn man von ihm weiß«, sagte Felix.
Georg setzte sich, sah die drei der Reihe nach an, zuletzt Leo, und ihm vor allem galt die Frage: »Und wenn wir nun hören, daß sie tatsächlich …«
»Meuternde Seeleute werden erschossen«, sagte Leo.
»Ihr seid wahnsinnig! Raúl und Fernando sind keine Seeleute, und du«, Georg zeigte auf Leo, »bist hier nicht der Kapitän! Das ist Richard. Er ist der Mann mit dem Patent und hat also das Kommando an Bord.«
»Du bist …« Leo unterbrach sich, denn aus dem Gerät kam Raúls Stimme: »Was du gemacht hast, war gefährlich. Hast schwache Nerven, was?«
»Eigentlich nicht. Aber bei Mord?«
»Ich bin froh, daß sie vorhin, als sie die Meldung von dem toten Polizisten im Radio brachten, nicht auch gesagt haben: ›Dringend gesucht wird Raúl Vergara aus Ciudad Renacimiento!‹ Sie scheinen keine Spur zu haben.«
Es rauschte in der Leitung, aber gleich darauf war Raúls Stimme wieder ganz klar zu hören: »… Eindruck, daß euer Boß ein ziemlich brutaler Typ ist.«
»Das kann man wohl sagen! Wir haben jetzt zwei Gegner, die Leute in Acapulco und die da unten.«
»Ist Georg nicht dein Freund?«
»Das schon, aber er steht zu dem Unternehmen, und wenn …«
Leo schaltete das Gerät aus. »Das genügt mir«, sagte er.
»Die beiden müssen weg.«
»Wieso?« fragte Georg. »Was eindeutig Verräterisches haben sie nicht gesagt.«
»Aber getan! Oder meinst du wirklich, sie beobachten bei ihrem Gequatsche das Ufer und den Monitor? Ganz bestimmt nicht! Und schon das ist eine Gefahr. Was passiert denn, wenn da jetzt ein Taucherkommando auf uns zukommt? Das kriegen die beiden doch gar nicht mit! Die hocken im Heck und reden. Verdammt noch mal, ihr seid doch nicht behämmert, ihr müßt doch einsehen: Das ist schon die Meuterei!« Die drei schwiegen.
»Nun sagt endlich was!«
Aber er bekam keine Antwort, und da wirkte es schon fast wie eine Geste der Resignation, daß er das Gerät wieder einschaltete.
»… nur die LUGER hier oben.« Es war Rauls Stimme.
»Die BERETTA und die MAUSER sind unten. Aber wenn sie tief schlafen, könnte es trotzdem klappen; ich meine, nur mit der LUGER.«
»Und dann?«
»Wer in der Koje liegt und pennt, ist wehrlos. Da bleibt einem sogar genug Zeit, viermal zu zielen und abzudrücken.«
»Ja, aber danach?«
»Dann hissen wir ein Bettlaken. Die Leute am Ufer sehen das spätestens morgen früh und kommen mit ihrem Kanonenboot. Nein, es geht ja noch viel einfacher! Wir rufen sie an und sagen, was los ist.«
Leo drückte auf den Knopf. »So, und was sagt ihr jetzt? Oder seid ihr sogar bereit, euch abknallen zu lassen?«
»Deutlicher ging’s nicht«, sagte Felix. »Machen wir es kurz! Ich bin froh, wenn wir es hinter uns haben.«
Richard sagte nur: »Mein Gott!«, und Georg zischte durch die Zähne: »Leo, laß mich den Indianer erledigen, damit ich nicht bei Fernando an der Reihe bin!«
»Einverstanden«, antwortete Leo.
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