1993 - Vorstoß in den Kessel
Sudan geboren, er gehörte zu den ersten Mutanten, die damals zu uns stießen und halfen, die Dritte Macht aufzubauen. Im Oktober 1169 NGZ starben er und Fellmer Lloyd, weil ihre Zellaktivatoren die Funktion einstellten und es ihnen nicht mehr gelang, dem Ruf der Unsterblichkeit zu folgen. Gestorben auf dem Planeten Compol im Jergelen-System weil ES in geistiger Verwirrung zwischen den Zeiten taumelte und die 20.000Jahre-Frist für abgelaufen hielt.
Fellmer ... Er kniet rechts neben mir. Der Orter, befähigt zur Aufnahme und Entschlüsselung von Gehirnwellenmustern; er konnte Stimmungen erkennen, war aber kein direkter Telepath gewesen. Auch er sieht aus, wie ich ihn in Erinnerung habe: korpulent, muskulös, breitschultrig, scheinbar schwerfällig und phlegmatisch, das Haar dicht und dunkel. Nicht ganz: Am Hinterkopf besaß Fellmer eine Kahlstelle, so groß wie ein Halb-Dollar-Stück. Ich kann es jetzt leider nicht sehen. Mit dem Erscheinen der beiden kann ich mich ja noch abfinden. Oft genug haben wir es schließlich mit Ernst Ellerts Projektionsgestalt zu tun gehabt, nachdem er in ES aufgegangen ist. Genaugenommen haben wir sogar die insgeheime Hoffnung gehabt, dass genau das passiert war: Schemenhaft huschen Bilder durch meinen Kopf, erinnern mich an die Ereignisse auf der SOL, ehe es zum Höllentrip kam... „Aber ... John ..." Meine Stimme klingt kratzig; den Kopf um wenige Zentimeter zu drehen ist eine Anstrengung, die mir den Schweiß aus den Poren treibt. „John Marshall!" Der Leiter des alten Mutantenkorps wurde im Zuge der Second-Genesis-Krise umgebracht! Sein Zellaktivator wurde geraubt, ging später auf Ribald Corello über. Wie kann er...?
Sein Aussehen lässt jedoch keinen Zweifel: groß, schlank, das Gesicht schmal und beherrscht, die dunklen Haare straff zurückgekämmt. Unwillkürlich der Gedanke... Er lacht leise und sagt ironisch: „Sie sollten sich erinnern, Mister Bull: Ich benutze nie Pomade!" Schwäche treibt mich in wabernde Schwärze zurück. Ja, das ist John! Auch er... Die Gedanken enden abrupt; ich werde ohnmächtig.
Bilder und verzerrte Impressionen gaukeln durch die Finsternis, tauchen als leuchtende Blasen aus unergründlicher Tiefe auf, werden größer und versinken wieder in der Schwärze. Stimmen mischen sich hinzu, kaum verständlich, meist nur an- und abschwellende Abfolgen von Tönen. Plötzlich die klare Stimme des neuen ES-Boten, hart und kategorisch: „... ist es wichtig, dass ihr keinesfalls den Paratronschirm aktiviert! Ich wiederhole: Bei der Reise zum Kesselzentrum darf der Paratronschirm nicht aktiviert werden! Seine hyperphysikalischen Streu-Emissionen stören und könnten uns alle vernichten ..." Und wieder Dunkelheit, sporadisch erhellt von weiteren Szenen, zerrissenen Bildsequenzen und umhertaumelnden Eindrücken: ... Vordringen in den Kessel und sein Brodeln und Toben ... Plötzliche Versetzungen der SOL, von uns Teleport-Phänomen genannt ... Vielfältig dann die „Begegnungen mit der Vergangenheit", Anlass für rege Diskussionen, weil niemand genau weiß, ob es sich um real Erlebtes oder mehr Traumhaftes handelt ... Schließlich das absonderliche Aufheiz-Syndrom: Ausgehend vom Carit der SOL, greift es scheinbar auf sämtliches Metall über, ohne jedoch ein wirklich physisches Phänomen zu sein. Die Temperaturanzeigen liefern keine Bestätigung dessen, was wir wahrnehmen - Tautmo spricht deshalb von einer „psychischen Überhitzung"... Es gibt die ersten Toten, gestorben durch Herzstillstand aufgrund des Schocks...
Das Gefühl, bei lebendigem Leib gebraten zu werden, steigert sich jedoch zur Unerträglichkeit. Wir müssen fliehen, evakuieren die SOL. Fast hundert Besatzungsmitglieder sterben, sogar Monkey ist betroffen; niemand weiß, ob der Oxtorner noch lebt oder nur bewusstlos ist... Die SOL, von einem weiteren Teleport-Phänomen erfasst, ist unvermittelt viele Dutzend Kilometer entfernt ... Wüstenmarsch, ein Treck der Verzweifelten ... Die Oase... Eine vage Silhouette in der Grelle - ein merkwürdiger Reiter ... Und der Befehl: Ich muss zur SOL, auf Biegen und Brechen, allein...
Als ich abermals zu mir komme, fühle ich mich gekräftigt. Zwar gibt es keinen Quadratzentimeter Haut, der nicht schmerzt, und auch die allgemeine Schwäche besteht fort. Doch ich schaffe es, auf die Beine zu kommen. Unvermittelt kommt die Erinnerung, ein deftiger Fluch hallt über die Wüste.
Ich knie auf einer Decke unter einem Sonnensegel; es ist an in den Sand gerammten
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