1993 - Vorstoß in den Kessel
erstreckte sich als Mittelachse des Virtuellen Schiffes der schnurgerade Korridor. Boden, Decke und Wände waren glatt und fugenlos, ohne Türen oder Abzweigungen, ohne Verzierungen oder Beschriftungen. Mittelpunkt der Walze war ein als Galerie gestalteter Knotenpunkt, von dem rechtwinklig Seitengänge abzweigten. Vom umlaufenden Geländer hatte Alaska freien Blick in das Bassin von zehn Metern Durchmesser, dessen Tiefe nicht abzuschätzen war.
Eine Art transparente Flüssigkeit schien es zu füllen - bei genauerem Hinsehen offenbarte sich in ihr jedoch ein Mikrokosmos voller Sterne. Ihr Glitzern und Gleißen vermittelte Alaska immer noch den Eindruck in einen Abschnitt des Weltraums von vielen tausend Lichtjahren Ausdehnung zu sehen.
Seit die Virtuellen Schiffe mittels Teleportfeldern die Gestalter aufgenommen hatten, schwebte ein Schwarm von achtzehn Asteroiden scheinbar zum Greifen nahe in diesem Mikrokosmos. Weder Jorim Azao noch die anderen Gestalter hatten sich jedoch seither gemeldet. Alaska lehnte sich ans Geländer, atmete tief durch und stützte das Kinn auf die Hände. Er merkte kaum, wie die Zeit verging - zu faszinierend war der Blick in den Mikrokosmos und die dahintreibenden Felsblöcke, ihr langsames Trudeln, scheinbar unbeeindruckt von allem und jedem. Nonorganische Wesen, ähnlich den Cappins in der Lage, geistig in andere Lebensformen zu schlüpfen ...
Irgendwann stieß sich Alaska vom Geländer ab. Als Abschluss des Steuerbordkorridors trennte ein Schott den schmucklosen Korridorbereich des Raumschiffes von der Wohnung. Auf einer Grundfläche von 120 mal 15 Metern gab es Dutzende behaglich eingerichteter Räume, die an Suiten eines Luxushotels erinnerten: Es gab diverse Schlafmöglichkeiten, Nasszellen, Wohnzimmer, Küchen und Einrichtungen für Körperertüchtigung und Training. An den Wänden leuchteten abstrakte Holobilder, ein weicher blauer Belag bedeckte den Boden.
Innerhalb des Bereiches der Wohnung wurde jegliche Alterung des Piloten unterbunden. Für Alaska, der einen Zellaktivator trug, war das weniger von Interesse - wohl aber für die Piloten der übrigen siebzehn Virtuellen Schiffe. .Jene Räume, die an die Außenhaut des Virtuellen Schiffes grenzten, besaßen wie die Pforte transparente Wände, so dass ein freier Blick ins All ermöglicht wurde, der nur von den Silberrohren des Geflechts eingeschränkt war. Alaska sah auf das Armbandgerät. 19. April 1291 NGZ; 2.23 Uhr. „Zeit, schlafen zu gehen", murmelte er, tappte durch die Zentrale hinüber zu seinem eigentlichen Wohnbereich und betrat die Hygienekabine.
Nur von der Haut umhüllt, die nun seinen Körper ähnlich einem kurzbeinigen Trikot umgab, ging Alaska nach der erfrischenden Dusche zum Bett und schaltete durch ein Fingerschnippen die Beleuchtung aus. Wenige Stunden später riss ihn die eingehende Funknachricht von der VIRTUA/1 aus einem Alptraum. Schlaftrunken rieb sich Alaska die Augen, während vor ihm das Holobrustbild von Toricelly entstand.
Die Lamaicanerin war eine 3,50 Meter große Hominide mit glatter brauner Haut, handtellergroßen smaragdgrünen Augen und hoher Stirn, bekleidet mit einem leichten weißen, locker sitzenden Anzug. An irdische Rinder erinnernde Hörner entsprangen ihrer Stirn; es handelte sich bei ihnen jedoch um weiches Gewebe mit unzähligen Sinneszellen, mit denen die Wissenschaftlerin, die nichts mehr als ausgedehnten Schlaf schätzte, Bewegungen im Hyperraum aufspüren konnte, ohne dabei allerdings eine große Präzision zu erreichen. „Ich darf dich an deinen Standardausspruch erinnern, beste Freundin?" sagte Alaska nach der knappen Begrüßung knurrig. „Von wegen verdammt viel Schlaf brauchen und so - du hast mich aus meinem gerissen!" Sie entblößte ihr ausladendes, mächtiges Gebiss mit den breiten Mahlzähnen und versicherte: „Tut mit schrecklich leid; ich fühle mit dir. Aber es wird Zeit, dass du zum Treffpunkt zurückkommst. Deine Jagd scheint ohnehin nicht sonderlich erfolgreich gewesen zu sein... Unser erwarteter Passagier ist eingetroffen, und es sieht so aus, als hätten wir ein Problem!"
„Kommt mir bekannt vor. Ich bin schon unterwegs."
7.
Reginald Bull: Aufbruch
19. April 1291 NGZ
Noch während sich das Beiboot mit Mondra Diamond an Bord der SOL näherte, um einzuschleusen, gewann die Entwicklung eine bemerkenswerte Eigendynamik. Mit Kommandantin Fee Kellind war ich unterwegs zu einem Hangar in Höhe der Zentrale des SOL-Mittelstücks, als uns eine
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