Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

Titel: 1994 Jagdzeit in Deutschland (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
Vom Netzwerk:
All die schönen Schweinereien haben die Obermacker euch vorenthalten, und ich frag’ mich, wie ihr das bloß aushalten konntet, die vielen Jahre. Muß wirklich zum Kotzen gewesen sein.«
    »Also, alles war ja nun nicht schlecht. Immerhin waren wir im Ostblock die führende Wirtschaftsmacht.«
»Ja, ja«, Willi lachte laut auf, »unter den Blinden ist der Einäugige König. Mann, ich sag’ dir was! Darauf, daß ihr innerhalb der Beschissenen die Nummer eins wart, könnt ihr euch nichts einbilden. Seht euch die Betriebe hier an! Sind alle zum Wegschmeißen. Und wer muß die Sauställe sanieren? Natürlich wir aus dem Westen. Auf längere Sicht geht das in die Billionen. Jawohl, in die Billionen! Und trotzdem melden sich bei euch noch Leute zu Wort, die Freispruch fordern für eure SED-Bonzen. Die haben doch ’ne Meise, diese Leute. Ich finde sogar, wenn es die Mauertoten und die vielen politischen Gefangenen überhaupt nicht gegeben hätte und auch die tägliche Unterdrückung nicht, na, dann müßten eben die Westdeutschen eure Regierungsmannschaft zur Rechenschaft ziehen, weil sie nämlich den ganzen Mist zu bezahlen haben. Ja, sie müßten quasi als Nebenkläger auftreten und geltend machen, daß sie wegen eurer Mißwirtschaft nun über Jahre hin weniger in der Lohntüte haben werden.« Er schlug zur Bekräftigung seiner Worte mit der flachen Hand auf den Tresen, und dann gab er seinem Gast, der schon wieder ausgetrunken hatte, einen neuen Klaren, diesmal auf Kosten des Hauses.
Eine solche pauschale Diskriminierung des einstigen Arbeiter-und-Bauernstaates mochte Schöller nicht hinnehmen, aber er wußte, was Wortgefechte anging, war er dem anderen nicht gewachsen. So schickte er erst einmal einen hilflosen Blick in die Runde, und dabei fiel ihm die Antwort ein:
»Mit deinem Laden hier, einem Ostladen, scheffelst du einen Haufen Geld. Jeden Abend, jede Nacht. An dem Zeug da«, er zeigte auf die Flaschen, die zu Dutzenden im Wandregal standen, »verdienst du dich dusselig und dämlich, und die Miezen sorgen noch für ein dickes Zubrot. Vor der Tür steht dein BMW, und manchmal kommst du auch mit einem Porsche. Da seh’ ich doch weit und breit kein Opfer, das man dir aus der Lohntüte klaubt.«
»Wieder verkehrt, mein Lieber! Du verdrehst die Fakten. Den BMW hatte ich schon vorher und den Porsche auch, und wenn dieses Lokal floriert, dann nur deshalb, weil ich Geld reingesteckt hab’, sauer verdientes Westgeld. Sollte ich hier also tatsächlich irgendwann Gewinn machen, wäre er das Ergebnis einer riskanten Investition. Ja, Mut gehört auch dazu. Den bringen längst nicht alle Westler auf. Wir müssen nämlich seit der Wiedervereinigung immer nur zurückschrauben. Das Ganze ist volkswirtschaftlich zu sehen, und da seid ihr für uns nun mal ein Klotz am Bein, und zwar ein ziemlich dicker. Ja, ihr seid unser Danaergeschenk.«
»Was soll das denn sein?«
»Mensch, Junge, so was weiß man doch! Als die alten Griechen Troja belagerten – das machten sie schon zehn Jahre lang, ohne daß sie die Trojaner kleinkriegten –, verfielen sie auf eine List. Sie bauten ein riesiges Pferd aus Holz und stellten es denen vor die Stadtmauer. Als Geschenk. Einige der Belagerten trauten dem Frieden nicht, warnten auch, aber schließlich zog man das Pferd doch rein nach Troja, und kaum war es da, kletterten die griechischen Elitesoldaten aus dem hölzernen Bauch und eroberten die Stadt.«
Da Willi nun schwieg, war die Geschichte offenbar zu Ende, doch Schöller sagte, während er auf sein Glas zeigte und es gleich darauf gefüllt bekam:
»Zwei Anmerkungen. Wieso Danaergeschenk, wenn es doch von den Griechen kam? Und was hat dieser Holzgaul mit der Wiedervereinigung zu tun?«
Er leerte sein Glas in einem Zug. Willi griff erneut zur Flasche, schenkte nach, überlegte, ob es sich noch lohne, einem Mann, der das Traumland schon fast erreicht hatte, Erklärungen zu liefern, entschloß sich dann aber doch zu einem Versuch:
»Punkt eins. Die alten Griechen nannte man auch die Danaer. Warum, das würde zu weit führen. Punkt zwei. Seit damals heißt etwas, was zunächst wie ein schönes Präsent aussieht und sich hinterher als riesiger Reinfall erweist, ein Danaergeschenk. Na ja, und so gesehen, seid ihr eins. Als ihr damals eure Wir-sind-ein-Volk-Parole angestimmt habt und wir euch sozusagen reinholten zu uns, empfingen wir euch mit Girlanden und Bananen. Und jetzt? Jetzt sehen wir, was wir uns damit eingehandelt haben.«
Zwar kippte

Weitere Kostenlose Bücher