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1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

Titel: 1994 Jagdzeit in Deutschland (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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eigener Hand und aus freier Entscheidung, auch wenn gewisse Vorkommnisse Sie offenbar zu einer anderen Deutung gelangen ließen. Horst Fehrkamp hat den Zusammenbruch seines Vaterlandes, dem er jahrzehntelang treu gedient hat, nicht verwinden können. Erst kürzlich sagte er im Kreise seiner engsten Kameraden: ›Da ich die Wende nicht mitvollziehen kann, bleibt mir als Alternative nur das Ende.‹ Nach dieser Devise hat er gehandelt, und die Zurückbleibenden sollten das respektieren. Wer Gerüchte über eine andere Todesart verbreitet, lebt vom selben Augenblick an gefährlich. Sie haben sich bereits in diese Gefahr begeben, haben sowohl Hauptkommissar Granzow von der Hamburger Kripo wie auch einem gewissen Paul Kämmerer gegenüber den Verdacht geäußert, Fehrkamp sei das Opfer eines Anschlags geworden. Wir warnen Sie. Äußern Sie so etwas niemals wieder, und verweigern Sie bei weiteren Nachforschungen jegliche Unterstützung! Wir beobachten Ihr Haus, verfolgen jeden Ihrer Schritte und wissen daher, daß Sie Paul Kämmerer das Foto eines unserer Kameraden überlassen haben. Das war leichtfertig. Meiden Sie in Zukunft den Kontakt zu Kämmerer! Sollten Sie unsere Warnung mißachten, würden Sie es bereuen. Wir haben auch Ihre Kinder unter Beobachtung, kennen deren Stundenpläne ebenso wie deren Gewohnheiten, wissen zum Beispiel, daß Norbert jeden Donnerstag von sechzehn bis siebzehn Uhr am Konfirmandenunterricht teilnimmt und daß Regine Klavierunterricht bei einer Frau Dombrowski hat, montags von fünfzehn bis sechzehn Uhr. Wir kennen Norberts Ruderclub und wissen sogar, welche Fahrräder die beiden haben. Das eine ist ein blauweißes  Mountain Bike, das andere ein rotweißes Damenfahrrad der Marke TRIUMPH. Wenn Sie sich unseren Anordnungen widersetzen, werden Ihre Kinder zu Schaden kommen. Es würde Ihnen auch nichts nützen, sie nun etwa aus der Schußlinie zu nehmen. Wohin Sie sie auch brächten, wir hätten sie binnen kürzester Zeit aufgespürt. Also, leben Sie normal weiter, halten Sie sich an unsere Weisungen, und keinem Familienmitglied passiert etwas!
Vielleicht sind Sie jetzt der Meinung, der zweite Teil dieser Durchsage widerspreche dem ersten und was Ihren Kindern angedroht wird, sei an Horst Fehrkamp bereits vollzogen worden. Wenn Sie irrtümlich diesen Schluß ziehen, ist das Ihre Privatsache und geht niemanden etwas an. Sollten der Kommissar und Kämmerer zu Ihnen kommen, so teilen Sie ihnen nachdrücklich mit, Sie wollten ab sofort in Ruhe gelassen werden, denn Sie hätten sich entschieden, den Tod Horst Fehrkamps als freiwilligen Schritt zu akzeptieren und Ihr Leben sowie das Ihrer Kinder künftig freizuhalten von allen Irritationen. Aber glauben Sie uns, wir sind sehr wohl in der Lage, zwischen einem solchen letztmaligen Kontakt zur Polizei und zu Paul Kämmerer einerseits und einer Fortsetzung gemeinsamer konspirativer Tätigkeit andererseits zu unterscheiden. Wir grüßen Sie mit Respekt und Wohlwollen und vertrauen dabei auf Ihre Entschlossenheit, von nun an kein Risiko mehr einzugehen. Vernichten Sie diese Nachricht sofort!«
    Eine Weile ließ Hubert Dillinger das Band noch weiterlaufen, doch da kam nichts mehr. So spulte er es zurück, holte es aus dem Recorder und steckte es in die Jackentasche. Danach nahm er wieder die Verpackung zur Hand, entzifferte den Poststempel. Die Sendung war an diesem Morgen um zehn Uhr in Altona aufgegeben worden.
    Er warf den Umschlag in den Papierkorb und trat ans Fenster, schob die Gardine ein kleines Stück zur Seite, sah hinaus. Zwei Autos standen auf der gegenüberliegenden Straßenseite, aber er erkannte sie als die seiner Nachbarn. Er verließ das Arbeitszimmer, ging die Treppe hinauf. Vor den Kinderzimmern, deren Türen offenstanden, rief er, sich um einen fröhlichen Tonfall bemühend: »Alles mal herhören! Die Reise ist abgeblasen!« 
    Sofort erschienen die drei auf dem Flur. 
    »Hurra!« schrie Norbert.
    »Wieso?« fragte die Mutter.
    »Also wieder auspacken«, sagte Regine.
    »Eben kam«, erklärte er seiner Familie, »der Eilbote und brachte eine Bauzeichnung, die ich eigentlich schon gestern hätte haben sollen. Als ich sie mir im Arbeitszimmer ansah, ging das Telefon. Tante Vera. Ihr müßt die Reise verschieben, weil sie jetzt selbst wegfährt. So, Kinder, ihr bringt alles zurück an seinen Platz, und wenn ihr das tipptopp durchzieht, dürft ihr heute abend mit uns den Krimi

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