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1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

Titel: 1994 Jagdzeit in Deutschland (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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etwas geschehen war.
»Was gibt es?«
»Hier im Werk rief heute morgen eine Frau aus Halle an. Sie wollte dich unbedingt sprechen. Ich erklärte ihr, du seist verreist, aber alles, was sie zu sagen habe, könne sie auch mir erzählen. Das tat sie dann auch. Ihr Bruder, Georg Schöller, also der Mann, mit dem du zweimal zusammengekommen bist, ist gestern abend ermordet worden.«
»Was? Ermordet?«
»Ja, er wurde überfahren. Zeugen haben beobachtet, daß der Fahrer des Wagens ihn – mitten in der Stadt und mit hoher Geschwindigkeit – regelrecht auf die Hörner genommen hat. Auf dem Bürgersteig. Daß es mit Absicht geschah, steht fest. Paul, ich mache mir große Sorgen um dich! Willst du nicht doch lieber aufgeben?«
»Das ist ganz unmöglich. Ich könnte es denen ja nicht mal mitteilen. Wirklich, wenn ich jetzt mein normales Leben wieder aufnähme, würden sie sofort zuschlagen. Schöllers Tod beweist, daß sie schnell reagieren und dabei nicht zimperlich sind. Aber es ist auch denkbar, daß der Mord von Halle irgendeinen anderen Hintergrund hat. Vielleicht waren die Täter nicht dieselben, die hinter mir her sind. Oder es waren doch Kopjella und Konsorten, aber es ging um einen anderen Fall. Stasi-Leute sind heutzutage sicher nicht nur in eine einzige Sache verwikkelt, sondern haben Rachegelüste aus fünf oder zehn oder noch mehr Ecken zu befürchten. Trotzdem, ich gehe eher davon aus, daß der Anschlag auf Schöller mit meinem Besuch im Fotoladen zusammenhängt. Mein Interesse an der Aufnahme von Kopjella hat sie alarmiert, und nun räumen sie die Gefahren aus dem Weg. Schöller war eine, das steht fest, denn tatsächlich bin ich ja erst durch ihn auf eine Spur gestoßen. So gesehen, waren sie zu spät, haben den Zug verpaßt. Wie hat die Schwester denn ihren Anruf begründet? Wollte sie mich warnen?«
»Sie war sehr erregt. Verständlich.«
»Gibt sie mir die Schuld?«
»Nicht direkt. Aber sie sagte, ihr Bruder hätte dir gegenüber lieber schweigen sollen, dann wäre er jetzt wahrscheinlich noch am Leben.«
»Ach, das ist ja interessant! Dabei hat sie ihn angetrieben, endlich den Mund aufzumachen. Hat sie nach Geld gefragt? Vielleicht für die Beerdigung?«
»Nein.«
»Ich werd’ ihr trotzdem was schicken. Nicht jetzt, das wäre zu plump. Jedenfalls danke ich dir, daß du mich angerufen hast.«
»Ich sollte es nur im Notfall tun, aber ich fand, es war einer.«
»Weiß Gott!«
»Ich mache mir«, sagte der Onkel noch einmal, »große Sorgen um dich. Von deinem Vorhaben kann ich dich also nicht abbringen, aber bitte, paß auf dich auf!«
»Das versprech’ ich. Und wie geht es dir? Was macht die Gesundheit?«
»Gar nicht mal schlecht. Es ist so, als spürte mein Körper, daß er sich jetzt keine Ausfälle leisten darf. Aber wer weiß, wie lange das anhält. Komm bald wieder, Junge!«
»Mach’ ich. Bis bald.«
»Bis bald.«
Er legte auf, sah sich im Zimmer um. Frau Engert hatte ihn allein gelassen, sogar die Tür hinter sich geschlossen. Er würde ihr gegenüber Schöllers Tod für sich behalten. Aber die Dillingers mußte er informieren, mußte sie warnen!
Er holte die Visitenkarte aus seiner Brieftasche, sagte sich, die Baufirma werde man wohl nicht angezapft haben, wählte also die Geschäftsnummer. Doch kaum hatte er Hubert Dillinger begrüßt, da fiel der ihm ins Wort:
»Wir wollen uns in Zukunft aus der ganzen Sache heraushalten. Wir wollen auch keinen Kontakt mehr zu Ihnen.«
Die Abfuhr verschlug ihm zunächst die Sprache, doch dann nahm er sich zusammen und fragte:
»Und der Tod Ihres Schwiegervaters? Werden Sie den nun auch auf sich beruhen lassen?«
»Ja. Wir gehen von Selbstmord aus. Immerhin gibt es einen Abschiedsbrief. Ich wiederhole, Herr Kämmerer, wir halten uns aus allem heraus. Ich hatte schon versucht, Sie zu erreichen, aber Sie waren nicht da. Wo stecken Sie denn? Oder haben Sie einen neuen Anschluß?«
Es geschah ganz automatisch, daß Kämmerer auf das kleine weiße Schild sah, das unterhalb der Wählscheibe saß und auf dem die Telefonnummer von Frau Engert stand. Doch kaum hatte er die ersten Ziffern in sich aufgenommen, da schloß er für einen Moment die Augen.
Bin ich denn wahnsinnig?
»In Stuttgart. Hab’ hier ein paar Tage zu tun. Gut, Herr Dillinger, ich akzeptiere das, was Sie sagen. Grüßen Sie bitte Ihre Frau! Auf Wiederhören.«
Das Gespräch war zu Ende, aber er blieb noch eine Weile neben dem Telefontischchen stehen. Sie haben es also mit der Angst gekriegt, dachte er,

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