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1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

Titel: 1994 Jagdzeit in Deutschland (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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gegen die Unterdrücker der Jetztzeit wenden, aber diesmal ohne dabei in einen so furchtbaren persönlichen Konflikt zu geraten. Noch etwas! Ich habe oft schwere Träume, und darunter ist einer, der, in Variationen, immer wiederkehrt. Mir wird befohlen, ein Todesurteil zu sprechen, und jedesmal habe ich zwischen zwei Kandidaten zu entscheiden, die aber beide unschuldig sind. Einmal, ich bin in diesen Träumen meistens die Studentin von damals, hatte ich zwischen meinem Vater und meiner Mutter zu wählen, und man drohte mir, falls ich’s nicht täte, beide umzubringen. Als ich schweißgebadet aufwachte, wußte ich nicht mehr, welches Urteil ich gefällt hatte, und ich war froh darüber. Wissen Sie, ich war nie verheiratet, aber einmal hatte ich in meinem Traum zwei Kinder …«, sie hielt inne, flüchtete sich ins Profane, schenkte ihrem Gast Kaffee nach, obwohl seine Tasse noch halb gefüllt war. Und dann brach es, sie hatte die Kanne gerade wieder abgesetzt, aus ihr heraus. Mit einer Vehemenz, die ihn zusammenfahren ließ, kam von ihren Lippen:
»Mensch, Kämmerer, nun hab’ ich, nach fünfzig Jahren, meine Chance! Nehmen Sie mir die nicht wieder weg!«
Da hatte er keine Wahl.

26
    Obwohl seit seiner Verlegung von Ribe nach Andalusien erst drei Tage vergangen waren, konnte Kopjella den Anblick der Olivenbäume ringsum kaum noch ertragen, ja, die knorrigen Gewächse waren ihm mittlerweile so verhaßt, daß er sogar dazu übergegangen war, ihre kleinen grünen Früchte, die bei fast keiner Mahlzeit fehlten, zornig zur Seite zu schieben.
    Er fühlte sich fremd auf der Hacienda LA ARBOLEDA, wurde mit dem Alleinsein nicht fertig und ebensowenig mit dem Nichtstun. In Ribe war alles anders gewesen. Dort hatte die geographische Nähe zur HADEX ihm trotz aller Isolation das Gefühl gegeben, mit den Gefährten von einst verbunden zu sein, und bei ausreichender Absicherung waren sogar familiäre Kontakte möglich gewesen. Das Bewußtsein, in Grenznähe zu leben, hatte ein übriges getan, zwar hatte jenseits des Schlagbaums nicht die DDR gelegen, aber doch ein Land seiner Sprache.
    Als zusätzliche Belastung empfand er, daß er sich dort, wo das Leben die heiteren Seiten bereithielt, an den Stranden, in den Bars und Restaurants, auf den quirligen Plätzen und Straßen von Malaga, nicht aufhalten durfte.
    Er war also unzufrieden, hatte sich aber, getreu der Verpflichtung, die Statuten der HADEX einzuhalten, in sein Los ergeben. Er hoffte, Lothars Einsatz würde schon bald erfolgreich abgeschlossen sein. Dann konnte der Freund zurückkehren, und überdies hätte es ein Ende mit der durch Paul Kämmerer entstandenen Bedrohung.
    Es war jetzt kurz vor einundzwanzig Uhr. Er hatte gerade zu Abend gegessen. Zuerst war ihm eine Spargelsuppe serviert worden, dann Paella und als Nachtisch ein Fruchtsalat aus Mango, Ananas und Melone. Anschließend hatte er sich in das kleine Büro zurückgezogen, in dem tagsüber Bartolo, der Verwalter, arbeitete und zu dem auch er einen Schlüssel hatte, damit er jederzeit das Telefon benutzen konnte. Eine neue Anlage mit Nebenanschlüssen in den Gästezimmern war erst für den Beginn des kommenden Jahres geplant.
    Während er, am Schreibtisch sitzend, auf den mit Lothar vereinbarten Anruf wartete, blätterte er in einer spanischen Illustrierten und betrachtete die darin abgebildeten Frauen, die sich mit großer Freizügigkeit präsentierten. Das verwunderte ihn nicht, denn Spanien hatte ja nach Franco eine allmähliche Veränderung erfahren, wie sie anderthalb Jahrzehnte später auch in der DDR stattgefunden hatte, nur daß sie dort wie ein Blitzschlag über das Volk gekommen war. Von einem auf den anderen Tag waren seine Landsleute durch schlüpfrige Produkte aller Art geradezu erdrückt worden.
    Er legte die Zeitschrift beiseite. Vielleicht kommt Lothar nicht durch, dachte er, aber irgendwann wird er’s schon schaffen. Ich bin gespannt auf das, was er mir zu berichten hat.
    Fast eine halbe Stunde mußte er noch warten, bis endlich das Telefon klingelte. Über die Verspätung redete der Freund gar nicht, kam gleich zur Sache:
    »Kämmerer ist unauffindbar. Hab’ x-mal vergeblich angerufen, und dreimal war ich an seinem Haus, das erste Mal ganz offen, also vorn, an der Haustür. Danach hab’ ich zweimal vom hinteren Garten aus die Fenster kontrolliert. Alles war dunkel. Ja, und heute morgen hab’ ich in der Fabrik angerufen und von seiner Sekretärin erfahren, daß er im Urlaub ist. Ort unbekannt!

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